Nach langem Warten erblickte mit Johann Strauß‘ Die Fledermaus nun endlich, neben La Cenerentola (Rossini) und La belle Hélène (Offenbach) die dritte Produktion von BARBE & DOUCET das Licht der Bühne der Hamburger Staatsoper. Und schenkte den Publikum einen Abend voller Spaß, Humor und Überraschungen, die von den Darstellern stimmschön und mit sichtlicher Spielfreude serviert wurden. Garniert war die Premiere mit einer kleinen Besonderheit, da der Tenor Robert Watson dem erkrankten Oleksiy Palchykov von der Seite die Gesangsstimme lieh, er jedoch selbst mit viel Energie auf der Bühne agierte.
Melodien so unvergänglich wie des Bürgertums Sehnsüchte
Die Fledermaus ist der Operettenklassiker schlecht hin. Gesellschaftssatire aus dem Wien des ausklingenden 19.Jahrhunderts subtil versteckt hinter mitreißenden unsterblichen Melodien, die wirklich jeder auf Garantie schon irgendwann irgendwo und mehr als ein Mal gehört hat. Dazu gehören unter anderem: Trinke Liebchen, trinke schnell…, Ich lade gern mir Gäste ein…, Mein Herr Marquis…, Klänge der Heimat…, Im Feuerstrom der Reben und Spiel’ ich die Unschuld vom Lande…

BARBE & DOUCET, Bühnen- und Kostümbildner André Barbe und Regisseur und Choreograf Renaud Doucet, sowie auch Guy Simard (Licht) erzählen die Geschichte von Dr. Falke, der mit seinem Freund Eisenstein noch eine Rechnung offen hat, so auf gewohnt detailreiche und ungewöhnliche Weise, ohne jedoch dem Publikum ihre Ansichten aufdrängen zu wollen, wie es in Regietheater manchmal der Fall ist. Sie bieten an und überlassen uns was und wie wir dieses umfangreiche Angebot annehmen, dessen Offerten sich bildlich, gestisch aber auch subtil versteckt zeigen. Die eingefügte Video-Werkeinführung ist zum Verständnis der Inszenierung absolut NICHT nötig, bietet aber aus erster Hand Einblicke und das wesentlich unterhaltsame, als die Worte aus meiner eigenen Feder mit, denen ich Sie zugegebener Maßen nur allzu gerne „quälen“ würde.
Der unveränderbare Hintergrund ist die Blamage und den Spott , die Falke einst nach einem Ball durchleiden musste, weil Freund Eisenstein dafür sorgte, dass er am helllichtem Tag und verkatert die Stadt im Kostüm einer Fledermaus durch kehren muss. Was eignet sich besser um für diese Schmach Rache zu üben als der Ball des exzentrischen Grafen Orlofski. auf den Falke alle lockt, die ihm nützlichen scheinen: Den eigentlich zu acht Tagen Arrest verurteilten Eisenstein, den Gefängnisdirektor Frank, Eisensteins Gattin Rosalinde und deren Zofe Adele. Ende und Auflösung findet die Rache dann am Morgen nach dem Fest im Gefängnis, bzw. in diesem Falle im Höllenzug, der Geisterbahn in BARBE & DOUCETs Bühnenversion des Wiener Praters.
Vom Liebesland in den Höllenzug
Ihren Anfang findet die Geschichte vor den Toren des, auch zum Bühnen-Vergnügungspark , Liebesland: Während der Ouvertüre, lassen sich hier die unterschiedlichsten Brautpaare von zwei Amors ablichten, bevor sie sich in das Abenteuer Ehe stürzen., das sie noch für jenes halten, dass sich Liebe nennt. Drinnen, in und vor einer der Gondel des Prater-Riesenrads, beginnt das Spiel mit Emotionen, Sehnsüchten und liebenswürdigen Schwächen. Weiter geht es dann in einem Saal der Vergnügungen, der sich über eine von einem blinkenden Herzen aus Lichtern umkränzten Freitreppe oder die Rutsche daneben erreichen lässt.

Alles Fotos Karl Forster
Hier tummeln sich nicht nur der Graf und Dr. Falkes Protagonisten, sondern die Art von Künstlern und Kuriositäten, wie sie wohl im auslaufenden 19.Jahrhundert zu sehen gewesen waren , vom Tanzbären, über die bärtige Dame bis hin zu siamesischen Zwillingen und vielem mehr und auch einige der Brautpaare, treffen wir wieder. Im dritten Akt dann, holt die Realität alle ein. Denn nun befinden wir uns in der Geisterbahn Höllenzug. Die Hochzeitsbilder die die Wände schmücken, zeigen eher zombiehafte Antlitze, die Haustürklingel. Mit denen alle Einlass begehren gibt furchteinflößende Töne und ganz besonderen Sätze von sich. Doch keine Angst, alles dient dazu etwas satirischen Spott zu verbreiten, doch niemals einen im Ernst mahnend erhobenen Zeigefinger.
Geschickte Symbiose von Bühne, Regie, Musik
Renaud Doucet weiß sämtliche Darsteller sich Charakter passend, wie aber auch im Einklang mit der Musik bewegen zu lassen. Dabei beziehe ich mich nicht nur alleine auf die Tänzer oder seine Choreografien für die Stücke des Divertimento Balletts des Festes ( u. a. „Marianka, komm und tanz mit mir), sondern auf wirklich jeden. André Barbes Spezialität sind stimmungsvoll schöne Bühnenbilder, die der Geschichte mehr als nur einen optischen Rahmen geben, ebenso wie seine Kostüme. Doch vielleicht liegt das Geheimnis der Faszination ihrer Produktion auch darin, dass die beiden auch bereichsübergreifend zusammen arbeiten und so etwas wahrhaft vielschichtig Begeisterndes schafften.

Alles Fotos Karl Forster
Jonathan Darlington und das Philharmonisches Staatsorchester Hamburg gelingt es den Wiener Schmäh, wie auch die Energie und Dynamik, die auf der Bühne herrschen zum Klingen zu bringen und damit eine wunderbare Symbiose einzugehen. Und. Musikpuristen mögen mir verzeihen, ist doch bei einem Stück wie Die Fledermaus das Wichtigste: Handlung und Musik ziehen gemeinsam so in den Bann, dass eventuelle kleine Fehler nicht wichtig sind, kämen sie denn da vor! Ein besonders schönes Beispiel von Musik und Handlung ist hier auch der Csárdás Klänge der Heimat… Denn Rosalinde wird von einem vierköpfigen Musiker Ensemble mit ungarischem Flair direkt auf der Bühne begleitet.
Auch der Chor der Hamburgischen Staatsoper und die zahlreichen Darsteller und Artisten der Komparserie der Staatsoper Hamburg sprühen vor Spaß am Singen, Spielen und teilweiser schon atemberaubender Körperbeherrschung! Zum Beispiel …
Doch nein, Ich verbiete das mir das Spoilern. Lassen Sie sich überrasche und glauben Sie mir einfach, dass es noch mehr zu sehen zu entdecken gibt, als Ihnen beim ersten Mal auffällt. Und toll sind alle ob Bär Ivan, oder die beiden Herren, die sich in einem Zebra-Trikot wie dressierte Löwen benehmen, ganz nach dem Motto: Es ist alles Schein und wir zeigen uns so, wie wir denken, dass wir sind.
Amor Frosch, sein Direktor und zwei Damen, die verzaubern
Was die anderen Darsteller angeht, so kann ich nur wiederholen: Freude und Begeisterung herrscht nicht nur im dunklem Saal, doch auch auf der fantasie- und abwechslungsreich gestalteten Bühne.

Alles Fotos Karl Forster
Da ist zu einem Jürgen Tarrach in der Rolle von Gefängnisdiener Frosch, bekannt als Theaterschauspieler aber vor allem aus Film und Fernsehen. Er singt das Wiener Couplet Der Hobel (Das Hobellied) von Ferdinand Raimund, plaudert humorvoll und Wiener Schmäh. Daneben bewegt er sich manchmal fast tänzelnd als herzige Karikatur einer Amor/Puttenfiguur über die Bühne und schwebt sogar darüber hinweg. Herrlich!
Gabriele Rossmanith trägt als Adeles Schwester und Tänzerin, Ida das bezauberndste Kleid an diesem Abend: Weiß und mit übergroßen Schmetterlingen besetzt, die Schultern später mit einem passenden Umhang verhüllt. Eine Anspielung auf Idas Charakterzug, als flatterhaft, lebenslustige junge Frau? Vielleicht, denn alles ist ja Schein. Rossmanith auf jeden Fall, spielt lebendig, authentisch und sprüht vor Charme. Sein Charme ist rollengemäß eher von der zu belächelnden Natur.
Peter Gaillard ist als stotternder Advokat Dr. Blind ein Garant für vom Herzen kommende Lacher auch bei seinem kurzem Auftritt als Menelaos. Diese Rolle spielt er sonst in der BARBE & DOUCET Produktion von Jacques Offenbach La Belle Hélène und hier als kleines Selbstzitat.
Auch Thorsten Grümbel als Gefängnisdirektor Frank, zieht alle Register schauspielerischen Könnens und macht auch neugierig darauf seinen gutgeführten bass in Partien zu erleben, in denen der Gesang mehr im Vordergrund steht.
Narea Son, darf als Adele Humor gepaart mit einer gehörigen Portion Koketterie zeigen, besonders im letzten Akt, wo sie mir einer kleinen Geste. Den Einsatz des Rockes ihres Rüschen-Ballkleides mit einer unauffälligen Bewegung entfernen kann. Do dass der Roch zur Schleppe wird und sie sichuns in langen mit Herzchen besetzten Unterhosen zeigt. Mit ihren Liedern Mein Herr Marquis und Spiel ich die Unschuld vom Lande durfte sie wieder Zeugnis ablegen, welche Meisterin der hohen Töne sie ist.

Rächer, Gastgeber, Gattin und Opfer schenken stimmliche Freude und Amusement
Bernhard Hanskys Dr. Falke ist der elegante Herr,, der Dandy, wie ihn die letzten Jahre des vorletzten Jahrhunderts in der feinen Gesellschaft wohl überall in Europa kannten. Bei aller Freundlichkeit, schwingt stets die Überlegenheit des sich Rächenden und darum mehr als die anderen Wisssenden in seinem Spiel mit. Ansonsten besticht er durch strahlend kraftvolle Töne, alleine oder auch im Ensemble.
Jana Kurucová ist ein sympathischer, wenn gleich auch gerne die Dressurpeitsche Orlofsky und so auch als Dompteuse geleitet. Ihr Ich lade gern mir Gäste ein geht auf mitreißende Art und weise unter die Haut und auch, wenn ihre Stimme heller gefärbt ist, als die anderer Sängerinnen, die ich in dieser Rolle sah überzeugt und besticht sie auch stimmlich das gesamte Stück über.
Jacquelyn Wagners Rosalinde, verzehrt sich auf leicht erkennbare aber doch beherrschte Art nach Alfred, dem Gondoliere aus dem Fahrgeschäft Venedig in Wien. Es mag Einbildung sein, doch die Form der Schleppe ihres Abendkleides, erinnert mich von der Form her an einen Reptilien /Drachenschwanz. Ist Sie also eigentlich Eisensteins Hausdrache, der sich danach sehnt wirklich mal ein verliebtes Mäuserl sein zu dürfen? Ihre Stimme zeugt jedoch, nicht nur beim Csárdás davon, dass sie auch für Dramatik und die dramatischen Sopranpartien der Opernliteratur gemacht ist.
Die Tenöre Oleksiy Palchykov und Robert Watson teilten sich die Rolle von Gondoliere und Tenor Alfred, Allein dafür gebührt beiden Dank und Lob. Denn Palchykov, erklärte sich bereit trotz Krankheit, die Partie zu spielen und zu sprechen, Er hat dies mit einer Inbrunst, Freude und im ersten Akt einer Begeisterung die Produktionsgemäß. augenscheinlich eher dem Wein und dem Souper, als wirklich Rosalinde galt. Watson, gab sein Bestes um mit seinem kraftvollen Tenor. Aus zwei Hälften ein Ganzes zu machen. Mit großem und zu recht bejubelten Erfolg.
Bo Skovhus Eisenstein ist ein Tausendsassa der mit warmen Bariton Töne in Tenorhöhe in den Saalschmettern, während er über die Bühne wirbelt, in akzentfreien Deutsch, seinen Text und auch dessen hintergründige Bedeutungen regelrecht zelebriert. Es mangelt ihm weder an schönen Tönen noch an der Fähigkeit Eisensteins Charakter darzustellen, das Bild als unwiderstehlichen Herzensbrecher mit unstillbarem Hunger nach außerehelichen Abenteuern, das er von sich selbst hat.
Alles in allem, eine weitere Produktion an der Staatsoper Hamburg in dieser, wie jene von 2020/21, Corona- belasteten Spielzeit, die beweist, dass Kreative, vor, auf und hinter der Bühne trotz all der Steine, die die Pandemie ihnen und uns in den Weg legt, Schönes schaffen können, das gefällt und großen Jubel verdient.
Birgit Kleinfeld, Publikumspremiere am 18.12.2021
Links:
https://www.staatsoper-hamburg.de/
https://www.barbedoucet.com/
http://www.jonathan-darlington.com/
https://www.jacquelynwagner.com/
https://www.operabase.com/artists/bo-skovhus-2221/de
https://www.janakurucova.de/
https://www.oleksiypalchykov.com/
https://www.gabrielerossmanith.de/index.html