Opern- und Leben(s)gestalten

Nomen ist nicht immer Omen, oft reicht er nicht allein, da hinter kann noch viel mehr „wohnen“! Kommt! Schaut doch einfach rein!

Harry Potter am Mehr!Theater in Hamburg: Effektreich faszinierende Show, statt verzauberndes Theater

Endlich, mit mehr als 1,5 Jahren Verspätung, fand einen Tag vor der Premiere  am 5.12. 2021  die Medienpremiere zu Harry Potter und das verwunschene Kind am Mehr!Theater in Hamburg statt. Ein wahres Feuerwerk an atemberaubenden technischen Effekten, fesselnd mitreißender  Musikuntermalung  (vom Band) aus der Feder  von Imogen Heap und wirklich beeindruckender Schauspielleistungen sämtlicher Darsteller zu einer Story, die ohne all dies wenig „Fleisch auf den Rippen hat“. Will sagen: Es fehlt ihr im Grunde an einer Substanz, die einen so langen und zweiteiligen Theatertag rechtfertigen könnte. Dennoch bietet MBB, wie stets, perfektes Entertainment für die gesamte Familie, doch eben eher Show als Theater.

J.K. Rowling und Jack Thorne (Buch), JohnTiffany (Regie), Steven Hoggett(Choreografie), Christine Jones (Bühnenbild), Katrina Lindsay (Kostüme),  Imogen Heap (Musik & Arrangements)  und noch viele andere mehr zeichnen verantwortlich für die spektakuläre und preisgekrönte Bühnenumsetzung. Die Übersetzung der Originalfassung ins Deutsche übernahm Anja Hansen-Schmidt. Sie alle, besonders aber jene, die uns mit all den  technischen und illusionären Effekten immer wieder überraschen, ziehen uns in den Bann.

Alle Fotos: Manuel Harlan

Von Freundschaft , Erwachsen werden und dem Sieg über das Böse

Wer liebt sie nicht die Bücher oder Filme über den unerschrockenen Jungen  der überlebte und seine Freunde? Doch Autorin   J.K. Rowling erzählte die Geschichte  zusammen mit Texter/Autor Jack Thorne weiter,  das uns Harry, Ron, Hermine und Draco als Erwachsene mit mindestens je einem Kind in Hogwarts zeigt. Endstanden ist eine Geschichte um  eine alte  Freundschaft, die von der ersten Begegnung im Hogwarts-Express bis in diese Zeit hielt, um eine, die nun  am gleichen Ort neu die Probleme zweier Söhne  mit ihren Vätern und natürlich immer  wieder den  natürlich siegreichen Kampf gegen das ultimative Böse. Es sind ausgerechnet Harrys Son Albus Severus und Dracos Sohn Scorpius, die eine innige Freundschaft schließen, zumal beide in Slytherin sind und einmal mit dem nie verblassenden Ruhm des einen Vaters (Albus/Harry) und Gerüchten,  der  eigentliche Vater sei nicht Draco sondern Voldemort, zu kämpfen haben.

Alle Fotos: Manuel Harlan

Mittels  eines Zeitumkehrers möchten die beiden die Geschichte von damals  verändern, was himmelschreiend und superspannend für das Publikum zwei Mal völlig daneben geht. Doch dann, im Showdown und einem weiteren Zeitumkehrer aus dem Erbe von Dracos Vater Lucius, wird das wahre Kind Voldemorts enttarnt und vernichtet und die Tatsache, dass die Erwachsenen, wie auch die Kinder, die Tat beobachten, wie Harrys Eltern ermordet und er zum dem Jungender überlebte wurde, kann Harry alles, was mit Voldemort zusammenhängt, loslassen und er, wie auch Draco, nähern sich den Teenagersöhnen an. Söhnen sich mit ihnen aus.

Spannung, die mehr und mehr in den Bann zieht, während der Humor schwächer wird

Schon vor Beginn der Vorstellung wird das Publikum hineingezogen. Wir schauen auf Gleis 93/4, hören leise die Ansagen aus unserer Muggelwelt und vor diesem, wie vor jedem anderen Akt, macht uns einer der Lehrer von Hogwarts auf seine eigene launige Weise aufmerksam darauf, was während der Show untersagt ist. Schon diese Kleinigkeiten lassen das innere Kind jubelt, das niemand, der sich Harry Potter und das verwunschene Kind anschaut, unterdrücken sollte. Denn es gibt soviel zu lachen, wenn auch, was die Dialoge betrifft, im letzten Viertel des Tages  mein innerer Kritiker das innere Kind ohne Mühe nicht maßregelte, aber doch auf die intensiver werdende Oberflächlichkeit und  Moralisierung aufmerksam machte.

Alle Fotos: Manuel Harlan

Das Stück lebt halt nicht von seinem Text oder der Story, sondern von viel Detailliebe ,sogar in den Umbauten, die immer mit  etwas zu lauter aber wirklich stets zum Geschehen passender Musik untermalt werden. Ach , aber welche wirklichen Szenen und ihre Besonderheiten soll ich erwähnen? Es gibt so viele, auf die man, da bin ich sicher, auch nicht verzichten müsste, würde man die beiden Teile auf einen kürzen. Da ist zum Beispiel die Sache mit dem Flohpulver. Sie erinnern sich, damit reist man von Kamin zu Kamin. Glauben Sie mir, man wird es nicht müde sich vor allem an der eleganten Art zu erfreuen, wie Draco Darsteller durch den „brennenden“ Kamin gleitet. Oder  auch die Art und Weise wie die Reise ins Ministerium  durch die Telefonzelle  dargestellt ist. Besonders faszinierend aber auch, wie sich nach Gebrauch des Vielsafttranks die Kinder Delphi, Scorpius und Albus in Hermine, Ron und Harry verwandeln, sich die Darsteller ändern.

Dann das Duell zwischen Harry und Draco, wo Darsteller und auch Mobiliar durch die Lüfte wirbeln. Durch den gesamten Saal wirbeln Dementoren überdimensional und recht bedrohlich.  Einige Szenen sind jedoch mehr als das, nämlich Furcht einflößend. Und auch wenn Harry Potter und das verwunschene Kind ein, wenn auch schwer erschwingliches, Familienvergnügen ist, sollten Eltern sich sicher sein, dass ihre Kinder sich nicht zu sehr erschrecken  und fürchten. Denn  die Dementoren treiben auch auf der Bühne ihr Unwesen und küssen in der von Albus und Scorpius neu erschaffenen Welten drei Personen zu Tode. Und auch, wie Voldemorts wahres Kind mit einem  vielfachen Incendio vernichtet wird oder wenn Voldemort plötzlich unerwartet auftaucht, hat schon etwas  zwar Cooles  doch auch Gruseliges.

Alle Fotos: Manuel Harlan

Scorpius, Delphi, Imbisshexe und Myrthe rule!

Neben, oder nein noch vor, allen Tricks  sind es die Darsteller, die für Genuss, Freude und Spannung sorgen. Ihre Erscheinungsbilder und Kostüme entsprechen völlig denen, die wir aus den Filmen kennen und lieben. Abgesehen vielleicht von Hermine, ihrer Tochter Rose und Hagrid, die hier einer anderen ethnischen Gruppe angehören. Wie immer hatten die Castingagenten ein absolut glückliches Händchen bei der Auswahlihrer Darsteller, deren Spielfreude , Wandlungsfähigkeit und  auch Körpereinsatz sehr gefragt sind.

Matthias Reiser als gutmütig nerdiger Streber Scorpius Malfoy, Heidi Jürgens  in der dreifach Rolle Tante Petunia, Dolores Umbridge, Imbiss-Hexe  und Glenna Weber als Maulende Myrte, waren  jedoch meine absoluten Lieblinge an diesem Tag,dicht gefolgt von Kristina Peters als Delphi Diggory.

Warum gerade diese vier? Es bedeutet keinesfalls, dass ich die Leistungen der anderen Darsteller nicht zu schätzen weiß, doch Geschriebenes,  auch bei Rezensionen, spiegelt ja stets die Persönlichkeit wie auch die Vorlieben desSchreibenden wider. Ich persönlich habe mich schon immer gefragt, was die Helden ohne ihre Sidekickswären oder eben jene, die keine Helden sind.  Was wäre ein Protagonist ohne seine Antagonisten?

Alle Fotos: Manuel Harlan

Außerdem ist die Rolle des Scorpius eine wahre Absahnrolle,  die die Herzen des Publikums  von der ersten Minute an gewinnt und die Reiser mit  hinreißender Spielfreude, Selbstironie und sicherlich in der Ausführung  anstrengender Pieps- oder Stimmbruchstimme erfüllt. Darum 50 Punkte für Slytherin und eine Ohnegleichen für den jungen Schweizer.

Heidi Jürgens hingegen ist eine wunderbar unsympathische Tante Petunia,  wie auch eine herrlich spleenige , Dolores Umbridge. Als Imbisshexe verwandelt sie sich von einem Süßigkeiten verkaufendem Mütterlein zu einer wahren Furie, als Albus und Scorpius  den Hogwartsexpress verlassen wollen. Auch diese Szene knistert vor Spannung, findet sie doch auf einem  in der Luft schwebenden Balken, dem Zugdach, statt

Alle Fotos: Manuel Harlan

Wie Glenna Weber als Maulende Myrthe sich  im Waschbecken in ihrem Mädchenklo im ersten Stock räkelt, dabei quäkend mit Albus, Harry und auch Draco flirtet, sprüht nur so vor Komik und Humor. In ihrer zweiten Rolle als Lilly Potter, Harrys Mutter, erweist  sie sich dann als liebevoll und  zeigt sich von einer stilleren Seite.

Kristina Peters endlich  ist als Delphi  eine mächtige Hexe mit einem ebenso mächtigen Geheimnis und tiefen Sehnsüchten, für deren Erfüllung sie regelrecht durch die Hölle gehen würde. Man glaubt Peters wirklich jede Gefühlsregung: Unbeschwertheit  ebenso wie Trauer, Wut ebenso  wie Verzweiflung.

Stets perfekt und typgerecht besetzte Darsteller

Markus Schöttls Harry Potter zeigt glaubhaft und überzeugend die Zweifel und den Kummer, die ihn im Zusammenhang mit seinem Sohn Albus plagen. Daneben merkt man  von Anfang bis Ende: Dieser Harry sieht es immer noch als seine Aufgabe an, die gesamte Welt zu retten. Sarah Schütz ist die selbstsichere und um Mann  und Kind besorgte Ginny Potter. Vincent Lang lässt nie einen Zweifel  daran, dass Albus endlich dem Schatten des berühmten Vaters entkommen will.

Alle Fotos: Manuel Harlan

Wirklich ihre Vielseitigkeit zeigen darf Jillian Anthony. Denn  Hermine Granger taucht  nicht nur im Hier und Jetzt, sondern auch in den vom Zeitumkehrer der Jungs geschaffenen Welten  mit immer anderen Charakterzügen auf. Sebastian Witt besticht als ihr Ehemann Ron Weasley durch mit Nachdenklichkeit gepaartem, liebeswürdigen Humor.
Alen Hodzovic dann gelingt es als Draco,  wenn  auch optisch die Reinkarnation dessen Vaters Lucius,  seiner Rolle  das Profil eines Menschen zu geben, der nicht mehr der ist, der er ein Mal war.

Eigentlich verdienen auch alle anderen eine ausführliche Erwähnung, doch andererseits macht die stringente  und akribische Auswahl der MBB Castingmitarbeiter*innen es  schwer, eine aussagekräftige Beurteilung zu geben. Mir jedenfalls scheint dies schwieriger als bei meinen Beurteilungen von  Opern, Theaterstücken oder Balletten von staatlichen Theatern, da die individuelle Darstellung einer Rolle mir bei Unternehmen wie MBB oder auch Stage doch stark eingeschränkt wird. Denn das Ziel dieser Unternehmen ist es ja, weltweit unter ähnlichen Bedingungen die gleiche Qualität zu bieten. Jemand, der eines ihrer Stücke erst in New York und dann in Wien, Stuttgart oder Hamburg sieht, soll ein ähnliches Erlebnis oder gar ein Déja vu haben.

Foto: Jochen Quast

Stets perfektes Entertainment, all umfassend und ganzheitlich, das ist  MBBs Erfolgsstrategie. Lassen Sie einmal einen halben Tag lang ihr inneres Kind, bedenkenlos und frei von  kritischen Gedanken, die Zügel in die Hand nehmen und genießen Sie Harry Potter und das verwunschene Kind. Vielleicht, wahrscheinlich, bestimmt verlassen  auch Sie dann nach ausreichendem Jubel und Standing Ovation das Mehr!Theater mit den Gedanken: 100 Punkte für alle!.

Birgit Kleinfeld, Medienpremiere 4.12.2021

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