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Nomen ist nicht immer Omen, oft reicht er nicht allein, da hinter kann noch viel mehr „wohnen“! Kommt! Schaut doch einfach rein!

Staatsoper Hamburg: Pretty Yende verzaubert mit Stimme und Charme

Pretty Yende in der Titelpartie, Dmytro Popov als Alfredo, Andrzej Dobber als Germont Père, Kristina Stanek als Flora, wie auch alle anderen Beteiligten, sorgten dafür, dass die erste Vorstellung der jetzigen Serie von Giuseppe Verdis La Traviata ( auch zu sehen am 9., 14. Und 16.12.) an der Staatsoper Hamburg mit viel Jubel und Standing Ovations endete.

Adaptierte Aspekteder Buchvorlage

La Traviata, eine der meist gespielten und beliebtesten Opern überhaupt, erzählt die Geschichte der Pariser Kurtisane Violetta Valéry, die für den jungen Alfredo Germont auf ihr Luxusleben verzichtet.  Ihre Liebe geht so weit, dass sie ihn, wissend um ihren baldigen Tod, verlässt und ihr altes Leben wieder aufnimmt, als sein Vater sie darum bittet, um Alfredo und dessen Schwester vor Gerüchten und Schande zu schützen. Sie erträgt es sogar, dass er sie vor allen Gästen einer Gesellschaft demütigt, als sie sich nach der Trennung dort wiedertreffen. Letztlich stirbt sie doch in Alfredos Armen, der von seinem Vater über alles aufgeklärt wurde.
Hier liegt der Unterschied zu Alexandre Dumas d.J. Roman Die Kameliendame, der die Basis zu Verdis Oper bildet. Denn da kommt der Liebste zu spät, die Geliebte ist gestorben und auch begraben.  Die Geschichte wird in der Retrospektive und mithilfe des Tagebuchs der Kurtisane erzählt.

Alle Fotos: Monika Ritterhaus

Regisseur Johannes Erath übernimmt diese Sichtweise, doch anders als im Buch funktioniert sie, besonders im finalen Akt, nicht wirklich schlüssig. Erath mach deutlich, dass Violetta beim leidenschaftlichen Parigi o cara längst tot ist, Alfredo sie  bei seinem Eintreten gar nicht  auf sich zukommen sieht, sondern nur Augen hat für ihr am Bodenliegendes Double. Dann jedoch läuft die Szene ähnlich ab wie in Produktionen, die  die Geschichte wie im Ursprungslibretto vorwärts erzählen.

Die Autoscooter, die Annette Kurzmal auf der Bühne, mal im Bühnenhimmel drapiert, tragen nicht unbedingt zu einem besseren Verständnis bei.  Warum Kostümbildner Herbert Murauer, aus Violettas Freundin zeitweise eine Art George Sand im Frack macht und Herren dafür in Kleider steckt, erschließt sich nicht wirklich. Ausdruck von Dekadenz? Vielleicht. Dazu passt dann auch, dass Alfredo Violetta bei jenem Wiedersehen nicht nur demütigt sondern unbehelligt auch vor den Augen ihres neuen Galans vergewaltigt.#

Verdis La Traviata als „ganzheitlicher“ Genuss durch  Protagonisten ….

Es mag an dem Nachhall der  neuen Inszenierung von Richard Strauss‘ Elektra liegen, die eine alte Geschichte neu erzählt und so zum Nachdenken anregt, was inspiriert, es auch hier zu tun oder die berühmte Tagesform, die  den Geist und das Verständnis nun doch für bisher Unverständliches öffnet. Auf jeden Fall half besonders auch Pretty Yende mir dabei, Eraths Idee  mehr abzugewinnen, als in jener obigen, einer alten Besprechung entliehenen Beschreibung.

Alle Fotos: Monika Ritterhaus

Zwar kann ich  dem auf dem Akkordeon gespielten Alfredo, Alfredo, di questo core  mit dem Musiker Jakob Neubauer noch vor der Ouvertüre immer noch nicht soviel abgewinnen, doch lehrt Yendes zeitweise sehr unbeschwertes, doch immer sehr intensives Spiel zum Beispiel, den immer wie Totengeister auftauchenden Artisten einen Sinn zuzuschreiben. Sie scheinen Violettas geistige Flucht vor der überbevölkerten Wüste Paris,  wie sie diese Stadt einmal nennt, darzustellen. Auch die Momentaufnahmen der Gesellschaft, manchmal einem Massenstandbild ähnelnd, haben nun endlich mehr Bedeutung;

Von Anfang an sticht Yendes Violetta  hervor, sprüht vor  ungekünstelter Lebensfreude, zeigt  eine umfangreiche Palette an Emotionen.  Sie wirbelt  beim Sempre Libera über die Bühne, singt auch inden Bühnenraum hinein, sprudelt über vor Verliebtheit, verbirgt aber auch vor Alfredos gestrengem Vater ihre Verzweiflung nicht, sucht Trost bei ihrer Vertrauten Annina und ist am Ende völlig erfüllt von hoffnungsloser Lebensgier. Kurz: Sie weiß zu berühren und mit der gleichen Leichtigkeit stimmlich zu verführen. Kristallklar ihre Höhen, sanft und ausdrucksvoll ihre Mittellage, sie ist schöner Legati ebenso fähig, wie dazu,  einen sauberen Ton  wahrem Gefühl zu opfern. All dies macht eine Sängerdarsteller*in aus, erfüllt Verdis einschmeichelnde Melodien mit klangschönem Leben.

Alle Fotos Monika Ritterhaus

Durch  jugendlichen Charme im Allgemeinen, verhaltenem Trotz dem Vater und ungezügelter Liebe wie auch Wut Violetta gegenüber, überzeugt auch der ukrainische Tenor Dmytro Popov auf ganzer Linie. Seine Stimme hat jenen Schmelz, der besonders slawischen Stimmen oft zu eigen sein scheint. Nur ganz  zu Anfang klingt sein Tenor ein wenig eng. Doch spätestens beim Lunge da lei … beweist er seine sichere Stimmführung und bewegt  durch eine schöne Mischung aus Gefühl und Technik.

… aber auch alle anderen

Andrzej Dobber ist ein eleganter, vielschichtiger Germont, wie stets ein Meister der kleinen, bedeutungsvollen Gesten und viel Leidenschaft in seinem warmtemperierten Bariton.  Er ist ein Grand Seigneur seines Faches, dem die langjährige Bühnenkarriere noch immer kaum zusetzt. Sein Di Provenza il mar samt anschließender Cabaletta geht unter die Haut. Die vorangehende Szene mit Violetta avanciert auch durch sein Können zu der Schlüsselszene der Oper, die einen wahren, wenn auch bedeckten Regenbogen an Emotionen hören lässt. 

Kristina Stanek überrascht als Flora durch  zur Rolle passende Laszivität und eine wunderbar böse Arroganz und Selbstsicherheit. Wieder frag ich mich was mich abhielt, die Faszination dieser tiefen, ungewöhnlichen Stimme von Anfang an zu schätzen. Liegt es an Staneks Entwicklung oder vielleicht doch auch an meiner eigenen, was das Erkennen und Wertschätzen guter Stimmen angeht?

Alle Fotos: Monika Ritterhaus

Renate Spingler als zurückhaltend gefühlvolle Annina, Peter Gaillard als launiger Gaston, Bernhard Hansky als selbstbewusster,  wohlklingender Barone Douphol. Han Kim (Il Marchese d’Obign), David Minseok Kang (il Dottore Grenvil) und Seungwoo Simon Yang (Giuseppe) runden die  hohe Qualität auf der Bühne ab. Alexander Joel und das Philharmonische Staatsorchester Hamburg lassen Verdi klingen, wie Verdi klingen soll: Melancholisch doch auch  schwungvoll, dramatisch wie lyrisch und immer einfach schön.

Fazit: Ein schöner Abend, der hoffen lässt auf eine Wiederkehr der beiden Gäste Yende und Popov und ein Mal mehr die Wertschätzung des gesamten Ensembles lehrte! Bravi tutti!

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