Opern- und Leben(s)gestalten

Nomen ist nicht immer Omen, oft reicht er nicht allein, da hinter kann noch viel mehr „wohnen“! Kommt! Schaut doch einfach rein!

Staatsoper Hamburg: Elektra -Serienmörder statt rächender Bruder

Endlich, mit viel Covid 19 bedingter Verspätung, hatte nun Richard Strauss‘ Oper Elektra ihre langerwartete Premiere an der Staatsoper Hamburg. Regisseur und Bühnenbildner Dmitri Tcherniakov und sein Team Elena Zaytseva (Kostüme), Gleb Filshtinsky (Licht) und Tieni Burkhalter (Video) präsentieren das Stück in  der  freundlich hellen Atmosphäre einer edlen Altbauwohnung. Die drei  Damen Jennifer Holloway  (Chrysothemis)   aber vor allem Aušriné Stundyté (Elektra) und Violeta Urmana (Klytämnestra) glänzten durch intensives Spiel. Die Gesangsleistung aller Darsteller war solide und gut. Und doch …

Musik, die der Handlung starke Emotionen verleiht

Und doch, mit Erwartungen ist es so eine Sache. Sind sie zu hoch, wird man leicht enttäuscht. Und was ist Enttäuschung anderes als (Selbst)Täuschung, die vielleicht darin fußt, dass man im Heute erwartet, was einen im Gestern begeisterte. Strauss und Hugo von Hofmannsthal erzählen die Geschichte von Elektra, der Tochter des Agamemnon und der Klytämnestra. Der Vater wurde im Bad von seiner Gattin und deren damaligem Geliebten  und neuem Gatten Aegisth ermordet. Nun wartet Elektra auf ihren jüngeren Bruder Orest, der in der Fremde als Rächer seines Vaters erzogen wurde. Totgesagt erscheint er dennoch wirklich, tötet die beiden Mörder. Elektra stirbt  in Ekstase und ihre Schwester Chrysothemis bleibt alleine zurück.

Aušrinė Stundytė
Alle Fotos: Monika Ritterhaus

So die Geschichte, wie sie im Libretto steht: Ein altgriechisches Familiendrama  voller düsterer Leidenschaften und ebensolcher Klänge. Klänge die nicht nur im Finale, sondern schon mit den ersten Akkorden oder dann, wenn Elektra sich an die Stunden mit ihrem Vater erinnert, oder beim Auftritt Klytämnestras an Ekstase, extreme Gefühle und gar Wahn denken lassen.  Die August Everding Inszenierung aus dem Jahr 1973, mit der ich mehr oderminder aufwuchs, verkörperte all diese dunkle Dramatik aus Handlung und Musik auf perfekte, wenn auch  für heutige Verhältnisse klassische/altmodische, Art mit Turm im Hintergrund und stets halbdunkler Bühne.

Ein zeitloses Familien/Gesellschaftsdrama

Dmitri Tcherniakovs Bühnenbild ist jedoch  taghell, auf der Bühne gibt es zwei Tisch/Sitzgruppen, einen Flügel, eine breite, zimmerhohe Fensterfront und noch mehr: Großbürgerliche Atmosphäre in den 1950ern (?), die Mägde erinnern eher an Frauen , die sich zu einem Kaffeekränzchen zusammenfinden,  eine optisch gar an Hella von Sinnen. Elektras berühmter Vaterkomplex zeigt sich, in dem sie (unteranderem  auch seine) Männerkleidung trägt. Auch  hat sie augenscheinlich ein Problem  mit ihrem biologischen Geschlecht, denn in einer Szene bedrängt sie ihre Schwester Chrysothemis schon auf  sehr sexuelle Weise. Chrysothemis ist das brave wohl erzogene Mädchen, Klytämnestra  ist und bleibt eine Luxus liebende , herrschsüchtige, stark mit Ängsten besetzte Diva. Orest und sein Pfleger (Kumpel)  erscheinen  als zwielichtige Typen,  wie man sie in den dunkelsten Viertel einer Großstadt findet. Alles in allem wurde sich erfolgreich Mühe gegeben mit der Charakterisierung der einzelnen Figuren.

Jennifer Holloway, Aušrinė Stundytė
Alle Fotos: Monika Ritterhaus

Doch ich bleibe dabei, dass hier eine Aktualisierung nicht mein Fall ist und  einige der dramatischsten musikalischen Momente von der Regie „verschenkt“ wurden.  Zum Beispiel wenn Elektra eine Art Puppe von ihrem Vater herstellt und Spielzeug auf dem Tisch drapiert, während die Musik einfachnach viel Körperlichkeit und vielleicht sogar Ekstase verlangt. Die Wirkung, die Absicht, ist mir einfach zu subtil.
Die Idee, aus Orest jemanden zu machen, der kein Rächer sondern ein Serienmörder ist, hat etwas Reizvolles  Dass dies jedoch nicht nur durch Taten sondern durch einen eindeutigen Text  samt eingeblendeter Notrufnummer gezeigt wirkt, nimmt nicht nur Dramatik und Überraschung, sondern reizt zum Lachen.

Die Macht von  Klängen, Stimmen und Spiel

Diejenigen Buhs – es waren nicht sehr viele-, die sich auf GMD Kent Nagano bezogen, konnte ich nicht wirklich nachvollziehen.Er und das Philharmonische Staatsorchester Hamburg gaben den  Stimmen auf der Bühne Raum ohne sie zu übertönen. Besonders aber die rein sinfonischen Passagen der Oper hatten eine mitreißende Dynamik, wurden der Kraft der Musik gerecht.

Gibt es auch eine rechtumfangreiche Besetzungsliste, nicht wenige unterstützende Partien, so möchte ich doch allein die sechs wichtigsten erwähnen. Natürlich  gehört das Stück,  musikalisch wie dramaturgisch, ganz den drei Damen, Elektra, Chrysothemis und Klytämnestra.

Aušrinė Stundytė, Violeta Urmana
Alle Fotos: Monika Ritterhaus

Doch auch Aegisth und Orest und dessen Pfleger kommen Schlüsselrollen zu. Bass-Bariton Chao Deng bewies zuletzt in Giacomo Puccinis Tosca als Angelotti, dass er auch in kleinsten Rollen stimmlich und darstellerisch eine gute Figur macht. Hier war er die dunkel bedrohliche, überwiegend stumme Präsenz im Hintergrund. Wohingegen John Daszak als, wie Elektra  ihn nennt, „anderes Weib“ Aegisth in der kurzen Auseinandersetzung mit seiner Stieftochter durch Stimmkraft und herrlich widerliche Persönlichkeit überzeugte.
Lauri Vasars wusste das Mehr an  Bedeutung, das Orest hier zufiel, geschickt zu füllen. Schon  früh schleicht er regelrecht durch den Bühnenhintergrund, zieht einen Teil der Aufmerksamkeit auf sich, um dann mit warm und einschmeichelnd klingendem Bariton nicht nur Elektra  für sich zu gewinnen.

Aušrinė Stundytė, John Daszak
Alle Fotos: Monika Ritterhaus

(Mezzo/)Sopranistin Jennifer Holloway klingt oft recht lyrisch und zart, was gut  zu ihrer Rolle als Orests zweiter Schwester Chrysothemis passt,  da diese hier besonders schüchtern, verhuscht und, im Gegensatz zu Elektra, ängstlich wirkt. Doch Holloway macht auch neugierig darauf,  sie in einer der Rollen aus ihrem vielseitigen Repertoire zu erleben, das von Musetta aus Puccinis La Boheme über den Oktavian aus Richard Strauss‘ Der Rosenkavalier  bis hin zu dessen Salome reicht.

Violeta Urmana als Klytämnestra ist eine jener vielseitigen Sänger-Darstellerinnen, denen es mit Leichtigkeit gelingt, die Bühne zu beherrschen. Dass sie bei Tcherniakov keine Krücken hat, nimmt ihrem ersten Auftritt ein wenig vom dem Schrecken, den er sonst durch sie und die schrillen (Miß)Töne der Musik hat. Doch Umana macht diesen vermeidlichen Mangel durch ihre Ausstrahlung und ihren stets gut modellierten Mezzosopran wieder wett.  Ihre Klytemnästra ist daher  gleichzeitig hysterisch und  sehr beängstigend. Einer der spannendsten Momente an diesem Abend ist die Auseinandersetzung zwischen Mutter und älterer Tochter. Diese findet an einen langen Tisch statt, an dem sich die beiden gegenübersitzen. Das Spiel ist auf kleine Gesten und Blicke reduziert, was in dieser Situation zusammen mit Gesang und vor allem Musik für einen Minikrimi sorgt.

Luminita Andrei, Tahnee Niboro,
Violeta Urmana, Kady Evanyshyn
Alle Fotos: Monika Ritterhaus

Aušriné Stundyté  spielte die Titelrolle mit Verve, Energie und auch körperlichem Einsatz. So glaubt man ihr vom ersten bis zum letzten Ton diese in sich zerrissene Frau, die mit Sehnsucht nach mehr als nur Rache erfüllt ist. Dass ähnliche Rollen (Salome, Marie/Marietta aus Die Tote Stadt von Korngold, Leonore aus Beethovens Fidelio und sogar Puccinis Madame Butterfly) zu ihrem Rollenkatalog gehör(t)en, scheint da  nur folgerichtig. Ihr Sopran verfügt über Dramatik wie auch, wo angebracht, Sanftheit.  Wer sie, wie ich, mit den großen hochdramatischen Sopranen  früherer Zeiten vergleicht und den letzten Hauch, letzten Schliff vermisst, tut Stundyté sicher Unrecht. Und sich selbst auch keinen Gefallen, denn alles fließt, alles ändert sich, der Geschmack ebenso wie die Ansprüche an die Künstler.

Fazit: Dmitri Tcherniakov erzählt in einem wirklich schönen Bühnenbild, das eine großbürgerliche Altbauwohnung zeigt, eine haarsträubende, zeitlose und nicht unspannende Familiengeschichte, die großen Zuspruch fand. Und auch wenn es jene gibt, die die Mystik vermissen, wird dieser Erfolg anhaltend bleiben. Denn sie bietet den Darstellern viel Raum zu  ausdrucksvollem Spiel. Was diese auch mit viel Enthusiasmus und durchweg schönen Stimmen annahmen, so dass der begeisterte Applaus völlig verdient war.

Birgit Klleinfeld, Vorstellungsbesuch 28.11.2021


Vollständige Besetzungsliste:

https://www.staatsoper-hamburg.de/de/spielplan/stueck-besetzung.php?AuffNr=193242#pagenav

Weitere Links:
https://www.staatsoper-hamburg.de/
ttps://www.kentnagano.com/about-kent/
https://werktreue.com/dmitri-tcherniakov/
https://www.violetaurmana.com/de/home
http://www.ausrinestundyte.eu/
https://www.jennholloway.com/?lang=de
https://lauri-vasar.com/



Weiter Beitrag

Zurück Beitrag

Antworten

© 2023 Opern- und Leben(s)gestalten

Thema von Anders Norén