Die Staatsoper Hamburg belebt – endlich- die frühere, langjährige Tradition der Solo/Duettabende neu. Die Reihe THE ART OF… wurde eröffnet von Roberto Alagna. Mit viel sympathischem Charme, leidenschaftlicher Darbietung und einer Stimme, die von vielen erfolgreichen Jahren auf zahlreichen Bühnen weltweit zeugte und doch so einige positive Überraschungen bot, nahm er uns mit auf eine musikalische Reise durch drei Jahrhunderte.
Schöne Erinnerungen
Wie gut erinnere ich mich noch an die Liederabendserien, die ab 1974 stattfanden. An Luciano Pavarotti, Hermann Prey, Nicolai Gedda. Leontyne Price oder an Montserat Caballe und Marilyn Horne; die für knapp zwanzig Personen am linken Bühnenrand Rossinis Katzenduett als Zugabe sangen. Dann gab es noch jenen Abend mit dem sympathischen Lapsus von Edita Gruberova, die im Lied über die Forelle den Text vergaß und ihn durch eben diese Worte ersetzte: „Ich hab den Text vergessen“.
Ich könnte diesen Bericht mit vielen alten Erinnerungen füllen, auch mit jener, dass viel zu wenige Menschen sich diesen Genuss gönnten, wie auch heute zu wenige Menschen die Chance ergriffen, einen weltbekannten Sänger pur zu erleben: frei von Rolle, Kostüm und Bühnenbild. Ähnlich beschrieb auch Intendant Georges Delnon in seinem Grußwort die Motivation für die Wiederbelebung eines Formats, das seit Rolf Liebermann bis Anfang dieses Millenniums einen festen Platz im Spielplan der Staatsoper Hamburg hatte.
Mehr als nur eine Begleiterin
Roberto Alagna und seine Pianistin Morgane Fauchois-Prado spannten den musikalischen Bogen von Pergolesi unter anderem über Händel, Gluck, Mozart, Wagner und Verdi bis hin zu einer Komposition Alagnas jüngeren Bruders David.
Morgane Fauchois-Prado begleitet neben Alagna Sänger wie Natalie Dessay, Aleksandra Kurzak, Rolando Villazón, Renée Fleming, und Bryn Terfel. Daneben betätigt sie sich auch als Kammermusikerin, zum Beispiel mit dem Orchestre de Paris.
Sie begeisterte durch ihr Feingefühl als Begleiterin, aber auch durch ihre Ausdruckskraft in den Solostücken. Mit federleichtem Anschlag bot sie den Reigen der seligen Geister (Christoph Willibald Gluck (Orfeo ed Euridice) dar. Später dann überzeugte sie mit ihrer intensiven Interpretation von Gioachino Rossinis Hachis romantique aus seinem Zyklus Péchés de Vieillesse und das berühmte Intermezzo aus Pietro Mascagnis Cavalleria Rusticana verlor nichts von seinem melancholisch meditativen Charme.

Foto: Simon Flower/Sony Classical
Prima le emozioni – Im Mittelpunkt: Das Gefühl
Alagna ist ein vielgefragter Sänger, der gestern nun endlich ein Debüt hier in Hamburg gab und uns einen umfangreichen Einblick auf sein Repertoire und seine Vielseitigkeit gewährte. Dass seine Stimme besonders in den Höhen hier und da Zeichen von Ermüdung aufwies und belegt klang, verringerte den Genuss nur geringfügig. Zum einen weil er dann doch immer wieder mit sicheren klaren Höhen überraschte, in der Hauptsache aber weil er mit Stücken wie Glucks Che faro senza Euridice (Orfeo ed Euridice), Mozarts Un aura amorosa (Cosi fan tutte), der Arie des Nemorino aus Gaetano Donizettis Der Liebestrank Adina credimi oder auch Mein lieber Schwan aus Richard Wagners Lohengrin mit viel natürlicher Einfühlsamkeit und zartem Piano zu berühren wusste.
Dramatik oder Verzweiflung stimmlich und auch gestisch zum Ausdruck zu bringen scheint ihm noch mehr zu liegen. Die Arie des Josephs aus Etienne-Nicolas Mehuls gleichnamiger Oper, aber besonders Sa lettre … Roxanne, adieu aus der Oper Cyrano de Bergerac (Franco Alfano) und auch David Alagnas Komposition Non, je ne suis pas un impre aus seiner Oper Le dernier jour d’un condammné, an deren Libretto Bruder Roberto mitschrieb, gingen unter die Haut.
Gelungen? Gelungen!
Natürlich gab es auch Zugaben. Nach einer äußerst gefühlvollen und gut verständlichen Gralserzählung aus Richard Wagners Oper Lohengrin und einem französischen Stück benutzte Alagna O sole mio als mitreißenden Rausschmeißer, wobei er stets den Plural miei benutzte und so das gesamte Publikum ansprach. Dies, wie auch seine Interpretation, die hier eher auf Freudevermitteln als auf künstlerische Perfektion setzte, kennzeichnet den gesamten Abend: Hier ist ein Künstler, der die Musik und besonders die Emotionen, die sie zusammen mit den Worten ausdrücken, ohne jede Mühe übermitteln kann. Und: er hat sichtlich Freude daran, andere zu begeistern.
Und so wurde der gelungene Einstieg in das Format THE ART OF… auch mit viel Applaus, Bravo-Rufen und schließlich auch Standing Ovations belohnt. Es bleibt zu hoffen, dass der Liederabend der Sopranistin Lise Davidsen am Freitag, den 19.11.2021, nur ein zweiter Schritt ist auf diesem interessanten Weg und noch weitere Abende in dieser Spielzeit folgen.
Birgit Kleinfeld (Vorstellungsabesuch 12.11.2021)
Links:
https://www.staatsoper-hamburg.de/
https://www.robertoalagna.com/
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