Opern- und Leben(s)gestalten

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Hamburg Ballett- Bernstein Dances: Tanzgelebte Biografie

Beim Dirigieren wirkte er stets so. als lebte er jede einzelne Note, jedes Crescendo, jedes Piano, Legato, Pizzicato, als Komponist wusste er  mitzureißen aber  auch tief zu bewegen. Leonard Lenny Bernstein. Bereits 1988 kreierte John Neumeier, auch damals schon Direktor des Hamburg Balletts seine Ballettrevue Bernstein Dances. Jetzt im Oktober gab es an der Staatsoper Hamburg die Möglichkeit,  sich von diesem Stück in die Welt Bernsteins  wie Neumeier sie interpretierte entführen zu lassen.

Unter anderem anhand von Songs aus Bernsteins Musicals On the Town, Wonderful Town, The Story of my Life, den sinfonischen Tänzen aus West Side Story, der Serenade für Violine und Streichorchester After Plato’s Symposium und vor allem der Ouvertüre zu der Oper Candide, begleiten wir Alexandr Trusch in der Man I titulierten Rolle, des Komponisten, auf dessen Werdegang. Die Revue skizziert die ersten kompositorischen Schritte, die erste Liebe, den schwierigen Beginn in der großen Stadt New York, den Durchbruch, das mehr oder weniger bewegte (Privat)leben, Gedanklichen Rückblick und – ja was?- die Einsamkeit auf dem Olymp des Erfolgs, das Alter.

Dorothea Baumann, Hélène Bouchet
Alle Fotos: Kiran West

Eine Art Angelpunkt bildet die Ouvertüre zu Candide, die nicht nur den Abend eröffnet, sondern auch als musikalische Untermalung für Im Zeitraffer dient,  der vor Lebensfreude überschäumenden Eröffnungssequenz des zweiten Teils. Schließlich dann erleben wir sie als Reprise oder als Schluss nach dem Schluss und Auftakt zum Applaus. Denn nachdem die melancholischen, hier  und da an Gustav Mahler erinnernden Klänge von After Plato’s Symposium verklungen und der Vorhang vor dem allein im Vordergrundstehenden Trusch gefallen ist, hebt er sich auch bereits wieder. Und das gesamte Ensemble wirbelt über die Bühne, holt das Publikum  zurück aus der kurzen Traurigkeit in die Welt der Freude durch Musik und inspiriert zu mehr als freudigen und rhythmischen Beifall.

Karen Azatyan, Madoka Sugai
Alle Fotos: Kiran West

Am Anfang wie am Ende sind Fotografien von Bernstein zu sehen, ansonsten bestimmen zwei Flügeltüren, wie sie in manchen Theater oder Konzertsälen zu finden sind, und New Yorkfotos von Reinhart Wolf das Bühnenbild. Giorgio Armanis geschmackvolle Kostüme aus weichfließenden Stoffen für die Damen, aber auch T-Shirts und Shorts, Smokings und legere Freizeitkleidung für die Herren, scheinen wie Zeitzeugen, die unaufdringlich und schön einfach zu Musik, Geschichte und Tanz passen.
Passend  zu  der Art wie Neumeier Geschichten erzählt, seien es auch nur Blitzlichter eines Lebens,  agieren auch die nicht  tanzenden Akteure größtenteils auf der Bühne. Sopranistin Dorothea Baumann und Tenor Andreas Bongard, verantwortlich für die Songs, beginnen ihren Auftritt unter einem Flügel hockend  und symbolisieren so während Who am I verschiedene Aspekte einer Person, die sich noch finden will.

Alle Fotos: Kiran West

Ansonsten stehen sie beobachtend an der Seite oder werden sitzend in einen Tanz mit hineingezogen. Ihre Stimmen klingen leicht geführt und sind frei von dieser gewissen Künstlichkeit, die charakteristisch für moderne Musicals ist. Auch Pianist Sebastian Knauer sitzt oft am Flügel auf der Bühne. Schön die Idee seines ersten Auftritts, bei dem er neben den Töne anschlagenden Trusch gleitet und dann übernimmt. Nur die Violinistin Tai Murray und natürlich die Musiker des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg unter Leitung von Garrett Keast bleiben unsichtbar in ihrem Graben, faszinieren aber durch ihre unüberhörbaren Fähigkeiten, die Melancholie der Serenade und vor allem den mitreißenden, Lebens bejahenden Charakter des West Side Story Blocks.
Auch das gesamte Ensemble auf der Bühne zieht in seinen Bann. Natürlich gibt es acht Protagonisten, aber doch gibt Neumeiern allen seinen Tänzern die Möglichkeit, die spezielle Aufmerksamkeit des Publikums zu erlangen und zeigt immer wieder, dass  jeder einzelne wichtig ist, nur halt in unterschiedlichen Maßen.

Jacopo Bellussi, Chritopher Evans
Alle Fotos: Kiran West

Was die Hauptrollen betrifft steht Alexandr Trusch im Mittelpunkt. Habe ich ihn vor kurzem erst noch als jemanden bezeichnet, der stets eine Art jungenhaften Charme ausstrahlt, so möchte ich dies zwar nicht revidieren, doch betonen, dass ich auch seine schauspielerische Wandelbarkeit wahrnehme und hoch zu schätzen weiß. Es gibt Szenen, klein und an sich vielleicht unbedeutend, und doch gelingt es ihm durch kleine Geste, Lenny Bernstein vor dem inneren Auge  erscheinen zulassen. Übernimmt dessen lässige Souveränität. Wie  bei Bernstein selbst dessen Fähigkeit, musikalische Emotionen sichtbar zu machen in seinem Stil ein Orchester zu führen, zeigte, zeigt Trusch mit jedem Sprung, jedem Schritt, dass auch er auf seine Art und Weise Musik und deren Aussage leben kann. Als Partnerinnen stehen ihm Emile Mazon und Hélène Bouchet zur Seite. Erstere steht für  den spielerischen Zauber der ersten Liebe, die Pas de deux sind geprägt von beidseitiger Zärtlichkeit, ihre Soli von verträumter Anmut. Bouchet dann ist die Partnerin,  die auch Auseinandersetzungen nicht scheut. Ihre Bewegungen sind geprägt von weiblicher Reife, ihrem Ausdruck wohnt Selbstsicherheit aber auch Melancholie inne.

Alle Fotos: Kiran West

Jacopo Bellussi als Man II verkörpert die Anziehungskraft, die Männer auf Bernstein ausübten. Seine Szenen und sein Pas de Deux mit Trusch gehen ebenso unter die Haut, wie sein Pas de deux mit Emilie Mazon berührt und voller stiller sinnlich angehauchter Freude ist. Zu den Tänzern, die den engeren Kreis um die Hauptfigur Man I bilden, gehören auch Madoka Sugai und Karen Azatyan, beide von großer Bühnenpräsenz und faszinierend im Zusammentreffen ihres tänzerischen Könnens und ihrer Ausstrahlung. Besonders  die Leichtigkeit mit der Sugai Schritte, Sprünge und Hebungen zu bewältigen scheint  ist immer wieder bewundernswert.
Eine  ganz besondere Rolle schließlich  wird von David Rodriguez interpretiert. Sie heißt Love, ist wie ein unterstützender und in kurzen Pas de deux anleitender  Schatten,  eine im zweiten Teil viel aus dem Hintergrund beobachtende  Figur, die alles registriert und selbst in scheinbarer Regungslosigkeit vom Publikum bemerkt wird.

Fazit: Ich kann nur wiederholen, dass dieses Ballett mehr ist als eine bloße Revue. Viel mehr. Doch es ist vor allem eine auf vielen Ebenen wunderschöne, sehenswerte Hommage an Lenny Bernstein.

Birgit Kleinfeld, Vorstellungsbesuch 29.10.2021

https://www.hamburgballett.de/

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