Eine Vorstellung von Peter I.Tschaikowskys Oper Eugen Onegin an der Staatsoper Hamburg erweckt in mir immer wieder nostalgische Erinnerungen an jene Zeit vor 42 Jahren als diese Inszenierung von Adolf Dresen (Regie), Karl-Ernst Herrmann (Bühne) und Margit Bárdy (Kostüme) ihre Erstaufführung erlebte. So auch die diesjährige Wiederaufnahmemit Bariton Alexey Bogdanchikov in der Titelrolle und Olesya Golovneva als Tatjana, Pavol Breslik als Lenski und Kristina Stanek in der Rolle der Olga an seiner Seite.
Die Operhatte im März 1879 ihre Uraufführung, gesungen von Schülern des Moskauer Konservatoriums am Maly-Theater, und erlebte ihren ersten großen Erfolg im Januar 1881 am Bolschoi-Theater und den endgültigen Durchbruch dann im Oktober 1884 am St. Petersburger Mariinski-Theater. Bis heute gehört dieses Werk, das auf Alexander Puschkins gleichnamigen Versroman basiert, zur Garde der bekannten und beliebten Opern.

Eine zeitlose Geschichte mit „Highlights“ geschmückt
Denn wer kennt sie nicht, die berühmte Briefszene mit der die blutjunge, auf dem Land aufwachsende Tatjana dem Lebemann Eugen Onegin ihre Liebe gesteht, um später galant doch überheblich abgewiesen zu werden? Oder die Arie von Onegins Freund Lenski Kuda, Kuda in der er, vor einem unbedacht geforderten Duell mit dem Freund und dem eigenen Tod, die unbeschwerte Zeit der Jugend heraufbeschwört.
Und auch den letzten Akt, der einige Jahre später spielt, schmücken zwei Stücke, die ich Highlights der klassischen Musik nennen möchte: da ist die berühmte Polonaise der Gäste im Hause des Fürsten Gremlin, dem Gatten Tatjanas, und dessen Arie: Lyubvi fse vozrastï pokornï. Weniger Mainstream, aber voll von Tschaikowskys unverkennbarer Dramatik und seinem Geschick, Themen, Emotionen und Situationen und nicht in erster Linie Figuren zu zuordnen, ist Onegins erster Auftritt in diesem Akt,bei dem er Tatjanas Motiv aus der Briefszene übernimmt, wie auch die unter die Hautgehende Finalszene, in der sich Onegin und Tatjana zwar ihre gegenseitige Liebe gestehen, sie jedoch eheliche Treue über Leidenschaft stellt.
Dresen und sein Team setzten damals bei Kostümen wie Bühnenbild auf eine schnörkellose Schlichtheit, die auch heute noch ihre Wirkung nicht verfehlt und auf unprätentiöse Art die Musik umrahmt, ohne von ihrer Ausdruckskraft und Dynamik abzulenken. Ein weiß gestrichener Patio aus Holz mit sichtbaren Altersspuren und Blick auf den Kirschgarten, Tatjanas spärlich möbliertes, durch Stoffbahnen und hohe Fenster luftig wirkendes Schlafzimmer, ein Kirschgarten, eine Diele, die auch als Tanzbereich dient, zeigen uns den Landsitz von Tatjanas Familie. Die Duellszene spielt auf leerer, halbdunkler, neblig wirkender Bühne, Gremlins Haus ist von schlichter Eleganz und im Finale deuten umgeworfene Stühle (inneres) Chaos an.

Von der Macht gesanglich musikalischer Ausdruckskraft
Einen Nachteil hat diese Inszenierung jedoch: zahlreiche lange Umbaupausen, die das Eintauchen in Geschichte und Musik doch erheblich stören. Doch auch Dirigent Axel Kober und das Philharmonische Staatsorchester Hamburg konnten – zumindest mich- nicht zu 100% überzeugen. Besonders wenn mehr als zwei Solisten auf einmal beteiligt waren, schien es hin und wieder, wenn auch kleine, „Synchronisationsprobleme“ zu geben.
Katja Pieweck (Larina), Janina Baechle (Filipjewna), Hubert Kowalczyk (Ein Hauptmann) und besonders auch Peter Galliardboten gute Leistungen in den kleineren Rollen. Galliard lieferte als Monsieur Triquet das Lied A cette fêteconviés, ein wahres Kabinettstückchen mit Komik und gewollt falschen Tönen. Herrlich!
Wie stets gelang es Alexander Tsymbalyuk als Gremlin durch edelmütig souveräne Ausstrahlung und wohlklingenden, sicher geführten Bass durch eine einzige Arie das Publikum völlig zu begeistern.

Aber natürlich stehen sie im Mittelpunkt der Handlung, das sich liebende Paar Olga und Lenski, Kristina Stanek und Pavol Breslik und das Paar, das sich selbst am gemeinsamen Glück hindert. Tatjana und Onegin, Olesya Golovneva und Alexey Bogdanchikov.
Dovlet Nurgeldiyev und Oleksiy Palchykov, die in vorherigen Aufführungsserien die Rolle des Lenski übernahmen, glänzten durch weiche lyrische Klänge und eine Darstellung die von kleinen, doch intensiven Gesten lebt und Lenski zurückhaltend und in sich gekehrt erscheinen lässt.
Pavol Breslik, der in dieser Spielzeit auch noch als Alfredo Germont in Giuseppe Verdis La Traviata zu hören sein wird, überrascht durch dramatische Leidenschaft in Stimme und Spiel. Sein Tenorstrotzt geradezu vor Strahlkraft, sein Umgang mit Olga ist so temprament- wie auch liebevoll und so erscheint sein Lenski in einem ganz neuem Licht.
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Auch Kristina Staneks Olga sprüht vor Lebensfreude und Liebe zu Lenski. Noch vor einem Jahr brauchte ich ein wenig um mich an ihr ungewöhnliches Timbre zu gewöhnen. Heute kann ich dafür nicht einmal mehr einen Grund nennen, denn inzwischen zieht mich ihr natürliches Spiel im Zusammenklang mit dieser in allen Lagen so ausdrucksvollen Stimme, die Stanek für die unterschiedlichsten Mezzopartien prädestiniert, immer wieder in den Bann.
Olesya Golovnevas Tatjana vermochte es nur in großen Teilen mich zu berühren In der Briefszene vermisste ich den Überschwang, den Stolz auf den eigenen Mut. Sie schien nur ängstlich, nicht wirklich von Gefühl und Brief überzeugt. Im Kirschgarten, schon vor Onegins Zurückweisung empfinde ich sie als etwas zu demütig und verletzlich. Ihre Stimme hat einen angenehm metallenen kraftvollen Klang, der mich allerdings erst im Finale begeistern konnte, mir fehlten manchmal einfach die zarten Töne.
Alexey Bogdanchikov gab einen vielschichtigen Onegin, ließ das Publikum alle angenehmen und weniger angenehmen Facetten dieses Charakters sehen und hören. Sein Onegin ist nicht kalt und arrogant sondern verbietet sich Gefühle, erlaubt sich Liebe ist wenn – oder vielleicht sogar weil? – es zu spät ist. Schon immer bestach er durch seinen warmen Bariton und auch mit der Fähigkeit, Emotionen und Gefühle denen zu Vermitteln die weder die gesungene Sprache verstehen noch auf die Obertitel schauen. Einfach durch die Modellation seiner Stimme. Doch von Spielzeit zu Spielzeit wird auch sein Spiel freier und intensiver. Und das der Onegin, wie er selbst sagt zu seinen Lieblingspartien gehört, bewies er nicht nur im äußerst emotionalen Final-Duett. Er erreichte mühelos tiefes Mitgefühl für den Geläuterten und doch Abgewiesen zu erwecken,
Fazit: Dieser Eugen Onegin, der viel Beifall bekam, mag zwar nicht zu meinen absoluten Lieblingsvorstellungen in dieser Saison gehören doch durch ihn freue ich mich besonders auch auf weitere Vorstellungen mit Kristina Stanek. Pavol Breslik und Alexey Bogdanchikov. Außerdem, ist ja bekannt, mir geht es darum, Sie neugierig zu machen und vielleicht auch dazu zu bringen, sich ein eigenes Urteil zu bilden.
Birgit Kleinfeld, besuchte Vorstellung 28.09. 2021
Links:
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https://www.alexeybogdanchikov.com/
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