Vor sieben Jahren sang Sonya Yoncheva, als Cover für die für Anna Netrebko als Ersatz gedachte Angela Gheorghiu, auf der Bühne der Laieszhalle als Maguerite in Charles Gounods Faust. Heute nun gibt die inzwischen weltbekannte Sopranistin an der Staatsoper Hamburg ihr Haus- und Rollendebüt als Manon Lescaut in Giacomo Puccinis gleichnamiger Oper. An ihrer Seite, bei dieser wiederum konzertanten Aufführung, unter anderem der US-amerikanische Tenor Brian Jadge (Des Grieux) und Kartal Karagedik als Lescaut, Manons Bruder. Am Pult steht, wie beider Vorstellungs-Serie vor zwei Jahren, Francesco Ivan Ciampa. Findet die heutige Aufführung auch konzertant statt, möchte ich diesen Artikel doch damit beginnen, dass ich aus einer Rezension zitiere, die ich über die Aufführung vom 21.03.2019, für Das Opernmagazin schrieb. Auf diese Weise möchte ich Ihnen näherbringen, was Sie hätte erwarten können:
Die szenische Version
Manon Lescaut ist nach Le Villi und Edgar Giacomo Puccinis dritte Oper und war sein erster wirklicher Erfolg. Am 7. November 1893 war der Komponist persönlich anwesend, als hier in Hamburg die deutsche Erstaufführung seines Werkes stattfand. Die Oper, erzählt die Geschichte des jungen Studenten Des Grieux‘ der sich unsterblich in die junge Manon verliebt, die zwischen ihrer Liebe zu ihm und der Liebe zu einem Luxusleben an der Seite des alten Geronte hin und hergerissen ist. Letztlich will sie mit Des Grieux fliehen, aber ohne auf ihre Juwelen zu verzichten. Dies hat ihre Verhaftung und eine gemeinsame Deportation und Manons Tod in einer einsamen Wüste zur Folge.
Auch von Jules Massenet gibt es eine oft gespielte, beliebte Oper, die sich mit dem Roman des Abbé Prevost beschäftigt. Puccini sagte dazu: „Massenet fühlt das Stück als Franzose, mit der Atmosphäre von Puder und Menuetten. Ich werde es als Italiener fühlen, mit der Leidenschaft der Verzweiflung.“ Regisseur Philipp Himmelmann sieht es ähnlich, denn er stellt die fast krankhafte Liebe zwischen Manon und Des Grieux in den Mittelpunkt seiner Produktion. Wir erleben die Oper als Des Grieux Erinnerung. Es ist allein Manon, die er ansieht, die er berührt, alle anderen sehen zwar ihn, sprechen zu ihm doch er kehrt ihnen stets den Rücken zu. Eine wirklich interessante, gut durchdachte Idee.
Und irgendwie passt jener Anmachspruch aus dem heutigen Leben, in dem es heißt: „Glaubst du an Liebe auf den ersten Blick oder soll ich noch ein Mal vorbeigehen?“ Auf den ersten Blick nämlich scheint Himmelmanns Inszenierung zu jenen zu gehören, bei denen der Regisseur die eigene Meinung über Handlung und Musik stellt. Es braucht, den Willen sich einzulassen und ein zweites oder auch drittes Mal Puccinis wunderbare Musik zu genießen um die Qualität der Regie zu erkennen. Was sich jedoch wirklich lohnt. Denn an der oft fast chroreografierten, und nur wenig stereotypen Personenführung Himmelmanns gibt es kaum etwa zu bemängeln.

Foto: Kristian Schuller / Staatoper Hamburg (Twitter)
Das Befremdliche liegt an den Kostümen von Gesine Völlm und dem Bühnenbild von Johannes Leiacker, die in gewisser Weise überzeichnen, statt zu verdeutlichen. Den Bühnenhintergrund und auch die Seiten dominiert eine Fotowand mit schier unzähligen Porträts, aus der Zirkus-, beziehungsweise Varieté-Welt um die Jahrhundertwende 19/20 Jahrhundert. Völlm kleidet Chor und Protagonisten in einem ähnlichen Stil: Es tummeln sich in Weiß gewandete Clowns und Seiltänzerinnen auf der Bühne, Geronte erinnert zuerst an einen Bösewicht aus einem Dickens-Roman oder das Factotum Riff-Raff aus dem Kultfilm „Rocky-Horror Picture Show“ später wie alle seine männlichen Gäste an einen Satyr. Des Grieux Freund Edmondo stolpert in Riesenschuhen als eine Art schwarzer Harlekin hinter Des Grieux her. Lescaut, Manons Bruder, trägt ein Make-up, das an den Joker aus den Batman-Filmen erinnert. Des Grieux trägt zeitlosen Anzug, gegeltes Haar und „Puccini“-Bärtchen. Manon ist stets in Rot gekleidet. Zuerst in einem leicht schwingenden 20iger Jahre Kleid, dann in eine Robe aus dem 18 Jahrhundert. Trotz aller Widrigkeiten wird nach einer Weile doch deutlich, wie sehr es ins Konzept passt: Denn schließlich sehen wir die Erinnerungen, Träume eines Mannes der seine große Liebe, erst an eine Welt des Scheins, dann an den Tod verlor.

Foto: Monika Ritterhaus/ Staatsoper Hambuurg
Die konzertante Version
Doch nun zu der heutigen Vorstellung. Eine konzertante Aufführung bietet ja, zumindest in normalen Zeiten, die Möglichkeit zu einer halbszenischen Darbietung, mit angedeuteten Kostümen und durch Gesten angedeuteten Requisiten. Heute jedoch gehörte die eigentliche Bühne ganz dem Orchester,der gesamteChor der Hamburgischen Staatsoperwar über Logen im ersten und zweiten Rang verteilt.
Für die Sänger waren drei, (ungenutzt gebliebene) Stühle und – leider auch – drei Notenständer auf dem abgedeckten Orchestergraben platziert, Dass auch noch sehr auf die Abstandsregeln geachtet wurde, schränkte Möglichkeit des Miteinanderagierens erheblich ein, förderte im Gegenteil eher ein unruhiges Kommen und Gehen und voneinander getrennt sein. Den Leistungen der kurzen Auftritte der Ensemblemitglieder David Mensoek Kang (Un Comandante di Marina) Nicolas Mogg (Un Sergente degli Arcieri), Seungwoo Simon Yang (Il Maestro di Ballo) und Chao Deng (L‘Oste) tut dies keinen Abbruch. Im Gegenteil: Ausdruckskraft der von Gabriele Rosmanith (Un musico) bzw. von Collin André Schöning (Un Lampionaio) gesungenen, nur 4 bzw. 2 Textzeilen langen und doch schönen Melodien Di tue chiomes ciogli… bzw. E Kate rispose al Re … wurde mir heute zum ersten Mal wirklich bewusst.
Daniel Kluge als Student Edmondo, jener, der den Frischverliebten die Flucht im ersten Akt ermöglicht, nutzt von der Seite aus jede Möglichkeit mit angenehmem Tenor so zu agieren, wie er es bei einer szenischen Aufführung als schwarzer Harlekin täte: spöttisch und auch verschlagen.

Auch der Bass Tigran Matirossian bleibt als Geronte ohne die Merkmale eines Satyrs böse und herrlich widerlich: Er weiß, dass es sein Geld ist, was sie will, Aber er weiß auch, welche Macht dieses Geld ihm über sie gibt als er sie mit Des Grieux erwischt. Eine Macht, die er hämisch lachend nutzt.
Notenpulte und Abstandsregeln schränkten Bariton Kartal Karagedik als Lescaut in seinem stets ausdrucksstarken Spiel ein, doch seine Bühnenpräsenz und vor allem auch seine wohltönende, stets sicher geführte und modellierte Stimme zogen wie stets in seinen Bann. Besonders Lescauts Szene mit Manon im zweiten Akt Buongiorno, sorellina!/Ah, che insiem delizioso! macht er zusammen mit der fantastischen Sonya Yoncheva die Zerrissenheit Lescauts hör- und spürbar: Er liebt den Luxus Manons, fast ebenso wie sie es tut, doch er gönnt ihr auch ihr Glück mit dem armen Des Grieux.
Der wird gesungen von dem amerikanischen Tenor Brian Jadge, der in dieser Szene Orsù, affrettiam! Andiam, Manon! endlich aus sich herauskommt, darstellerisch wie auch stimmlich.
Anfangs, selbst bei Donna non vidi mai simile a questa! will der Funke noch nicht so richtig überspringen, weder zwischen ihm und dem Publikum noch zwischen ihm und seiner angebeteten Manon. Doch die Finalszene des 2.Aktes lässt alles vergessen, was vorher war: die Distanziertheit, den recht baritonalen Klang der Stimme, Von nun an bietet Jadge uns wirklich einen Des Grieux mit Schmelz in der Stimme, sicheren klaren Höhen mit genau dem richtig Anteil an metallenem Klang Leidenschaft. Und es mangelt ihm im Schlussduett auch nicht an jener Zartheit, die, stimmen, wie an diesem Abend, alle anderen musikalischen Umstände und Zusammenhänge, eine Gänsehaut verursacht.

Francesco Ivan Ciamppa, Brian Jadge
Wohlige Gänsehaut und schiere Begeisterung rief von Anfang an Sonya Yonchevas Leistung in der Titelrolle hervor, aber auch Francesco Ivan Ciampas Dirigat. Dem Philharmonischen Staatsorchester Hamburg gebührt unter seiner der Ehrenplatz direkt, neben- oder höchstens einen halben Schritt hinter der, die Mittelpunkt des Abends war. Schon damals, vor zwei Jahren, imponierte mir die einfühlsame Harmonie mit der Ciampo die Facette verschiedenster Emotionen und Themen hörbar macht. Dieser Eindruck verstärkte sich noch durch die Möglichkeit, ihn dank des Orchesters auf der Bühne beobachten zu können. Niemand entgeht seiner Aufmerksamkeit, er verlässt sich, bei dem Einsatz vom Chor in den Rängen und der Sänger hinter seinem Rücken, nicht allein auf die Bildschirme, sondern benutzt zusätzlich seine Hände. Ich denke es ist zu seiner Musikalität auch seine Agilität, seine Lebendigkeit, die zu diesem bewunderungswerten Ergebnis führen: zu dieser Zartheit, den wunderschönen Legati in der Kennlernszene, der fast greifbaren Spannung beim Finale des zweiten Aktes und der Schönheit des Vorspiels zum dritten Akt, das auch dieses Mal Zwischenapplaus bekam. Kurz: Ciampa holte wirklich das Beste heraus aus seinem Orchester.
Doch ohne Zweifel gehörte der Abend Ihr – Sonya Yoncheva, der die Umstände ihres Rollendebüts ihrer Spielfreude und darstellerischer Ausdrucksmöglichkeit Fesseln anlegte, Fesseln, die sie dennoch nicht nur stimmlich zu sprengen wusste. Mit Erfolg passte sie sich durch verschiedene Abendkleider und Frisuren Manons jeweiligen Lebensumständen an. Auch ihre Haltung, ihre Mimik und Gestik lassen vermuten, was uns erwartet, sähen wir sie in einer szenischen Aufführung. Mühelos gibt sie ihrer Stimme, durch deren unverwechselbaren Klang, stets den Ausdruck und die Farbe, die Text und Melodie am besten hör- und spürbar machen. In allen Stimmlagen hat sie eine Strahlkraft, die unter die Haut geht. Die Mühelosigkeit, mit der sie die schwierigsten Passagen meistert, und sie scheint ihre Energie in den Duetten auf ihren Partner Brian Jadge zu übertragen. Ein wunderbares Debüt!
Fazit: Die Begeisterung des Publikums war mehr als berechtigt, ebenso die Standing Ovation für Yoncheva. Schade nur, dass es nur noch am 12. und 15.09. die Möglichkeit gibt, sich von dieser schönen Aufführung entführen zu lassen in eine Welt, die auch ohne Kulisse Bilder hören lässt.
Birgit Kleinfeld 11,09.2021 (besuchte Vorstellung 09.09.2021)