Die Wiederaufnahme am vergangenen Sonntag bewies einmal mehr, was wir von jeher wissen: Der Direktor des Hamburg Balletts John Neumeier erzählt die Geschichten der klassischen Stücke nicht einfach nach. Er erzählt sie einfach anders, einfach menschlich(er). So auch jene von Sylvia, der Titelheldin aus Léo Delibes‘ romantischem Ballett. Es basiert auf Torquato Tassos Hirtendrama Arminta und es existiert auch ein Libretto, geschrieben von Jules Barbier und Baron de Reinach. Letzteres hatte noch den Untertitel La Nymphe de Diane. Doch bereits bei der Uraufführung des Balletts zur Eröffnung des neuen Palais Garnier war aus der Nymphe, die Delibes ätherischem Frauenbild entsprach, eine Art Amazone geworden, die die Jagd der Hingabe an einen Mann vorzieht.

Alle Fotos: Kiran West
Neumeier nun verzichtet in seiner Produktion auf altgriechisches Idyll samt pompösem Bühnenbild, Nymphen, Faunen und ähnlichem, sondern konzentriert sich wie stets auf das Wesentliche: auf die Geschichte dahinter, die Gefühle der Figuren, ihre (subtilen) Beweggründe, ihre Menschlichkeit. Und natürlich und in erster Linie ist es die Musik, die ihm bietet, was er zum Erzählen seiner Geschichte braucht. Klänge, die sich sofort einprägen und nach und nach eine Wirkung entfalten, die innere Bilder hervorrufen. Doch schon als ich das Ballett nur akustisch kannte, schien die Musik mir zu vielschichtig, zu ausdrucksvoll für die Art von klassisch romantischen Ballett(choreografi)en, die sich ästhetischen Bewegungen mehr verschreiben als „echten“ Personen und deren Geschichten.

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Die Kunst des Bogenschießens
Sylvia – Drei choreografische Gedichte über ein mystisches Thema, wie das Ballett hier an der Staatsoper Hamburg heißt, schenkt mir/uns ein abendfüllendes Ballett, das eine zeitlose Geschichte erzählt, die glaubhaft, ja wie aus der Realität gegriffen, wirkt. Gut, bis auf Arminta, den Schäfer, sind alle Hauptfiguren der römischen Mythologie entlehnt und doch …
Im ersten choreografischem Gedicht, das in einer Frühlingsnacht im magisch hellen Mondschein spielt, ist der Wald durch in Grün gekleidete, sich gemächlich, fast schwebend bewegende Paare symbolisiert, die Jägerinnen und auch die Jagdgöttin tragen unter einem wie Leder wirkendem Harnisch kurze Hosen und Bustiers, die einem Outfit für einen Bogenschießsportverein gleichen. Die namenlosen Schäfer tragen gelbe und der Gott Eros als Hirte verkleidet rote Latzhosen, Arminta und der in ewigem Schlaf gefangene Endymion weiße Latzhosen.

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Endymion (Jacopo Bellussi) begibt sich, wie ein Schlafwandler, mit geschlossenen(!) Augen auf die Bühne, nimmt seinen Platz am vorderen Bühnenrand ein und dann beginnt mit zischenden Pfeilschüssen die Handlung. Wir werden Zeugen, wie Sylvia (Madoka Sugai) sich die besondere Gunst und einen besonderen Bogen von Diana (Anna Laudere) erkämpft. Dann trifft sie auf Arminta (Alexandr Trusch), der in den heiligen Wald eindrang, es entbrennt eine in einem wunderschönen Pas de deux widergespiegelte Liebe, die Sylvia aber später vor ihren Gefährtinnen und vor allem vor Diana, die ja auch die Göttin der Keuschheit ist, verleugnet.
Doch Diana hat ein Geheimnis, und allein zurückgeblieben, denkt sie an ihre eigene Liebe. Ihre Liebe zu Endymion, den schönen, auf ewig schlafenden und darum ewig jungbleibenden Schäfer Endymion. Dieses Pas de deux ist für mich das Schönste des Abend und das faszinierendste, da der männliche Tänzer es mit (fast?) geschlossenen Augen tanzt

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Am Ende dieses Aktes, wenn die Dämmerung anbricht, erscheinen die Schäfer samt Eros (Christopher Evans), noch in der Gestalt des Thysis, auf der Lichtung. Sie findenden schlafenden Endymion wie auch den liebeskranken Arminta. Aus Mitleid zu Arminta, schlüpft Eros/Thysis nun in die Gestalt des schönen Orion um Sylvia zu verführen und so liebesfähig zu machen. Dieses sehr sinnlich-erotische Pas de deux geht durch Musik und Bewegungen tief unter die Haut. Zum Ende hin gleicht es jedoch eher einer Nötigung als einer liebevollen Verführung, liegt Eros doch auf dem Boden und hält Sylvias Bein fest, mit dem er dann vor- und zurückstoßende Bewegungen ausführt. Wie man es auch deuten mag, sie folgt ihm in seine Welt, die Welt von Luxus Eleganz und auch Dekadenz.

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Vom Reich der Sinne in die Wintersonne
Hier sind die Herren in Smoking oder Frack, oft mit weißem Hemd und weißer Weste, mal ohne Weste oder auch ohne Hemd, gekleidet, die Damen in oben enganliegende, unten weitschwingende Abendkleider. Sylvia lässt sich umschmeicheln, taucht ein in diese Welt und ihre Sinnlichkeit, schiebt gar die Erinnerung an Diana und ihre Liebe zu Jagd und Bogenschießen beiseite, schwelgt nur einen Augenblick in der Erinnerung an das alte Leben.
Dann vergehen die Jahre, Arminta fühlt erneut die unwiderstehliche Anziehungskraft des Heiligen Waldes dort trifft er auf Sylvia, gekleidet in ein Kleid, das der Mode um die vorletzte Jahrhundertwende herum entspricht. Ein Koffer lässt vermuten, dass sie eine Reise plant. Arminta und Sylvia geben sich ihrer Liebe hin, doch als Arminta sich ihr zu Füßen wirft, erscheint zuerst die erboste Diana, die aber von Eros, der sie erneut Emydion sehen lässt, davon abgebracht wird Sylvia zu töten. Stattdessen erscheint Der Mann (Marc Jubete),der Sylvia mit sich nimmt. Arminta fügt sich in sein Schicksal: Wesen aus zwei zu unterschiedlichen Welten ist es nicht gegeben, zusammen glücklich zu werden. Auch Diana lässt notgedrungen Emydion los, kehrt zurück zu ihren jagenden Nymphen und dem Schicksal, das ihr als Göttin von Jagd und Keuschheit auferlegt wurde.

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Am Samstag findet diese Ballett in einer alternativen Besetzung statt, ich freue mich auf den erneuten Besuch, auf das erneute Eintauchen dürfen in Klänge, Bilder, Bewegungen, Emotionen. Und natürlich freue ich mich auch darauf, dann über beide Besetzungen, die vomzurückliegenden 5.9. wie die vom 11.9.,berichten zu dürfen!
Seien Sie gespannt!