Die Saisoneröffnung der Staatsoper Hamburg mit Jacques Offenbachs Les Contes D`Hoffmann, die mit Fug und Recht als sehr gelungen bezeichnet werden kann, verdankt ihren Erfolg zu einem großen Teil dem italienischen Regisseur Daniele Finzi Pasca und seinen acht (!!) Mitstreitern. Zaubern sie uns doch ein Szenario auf die Bühne, dass uns zeitweise direkt in die Seele des von Muse geküssten Hoffmann zu versetzen scheint. Doch natürlich tragen auch die Sänger, allen voran Haus- wie Rollendebütant Benjamin Bernheim in der Titelrolle. Olga Peretyatko, die unter anderem hier im Internationalen Opernstudio Hamburg ihre künstlerischen Wurzeln hat, in allen vier weiblichen Hauptrollen. Und Angela Brower in der Rolle Nicolausse und Muse, die ebenfalls ihr Hausdebüt gab. Wie auch Luca Pisaroni, der dritte Hausdebütant an diesem Abend, als die vier Hoffmann-Antagonisten. Und, last but not least, der Vierte im Bunde an diesem Abend, die zum ersten Mal in diesem Haus singen: Gideon Poppe, der den Rollen der vier Diener eine ganz spezielle Note gab.
Eine Oper mit vielen Gesichtern

Alle Fotos Monika Ritterhaus
Jacques Offenbachs Les Contes d‘Hoffmann ist eines jener Werke, die es in jeder Kunstgattung gibt, die nie wirklich fertig und wie in Stein gemeißelt sind. So dass auch jene, die überzeugt sind „Ihren“ Hoffmann vom Hören her gut zu kennen, vielleicht Neues entdecken. Die hier aufgeführte Version entspricht der Aufführung vom 1881, nach Hinzufügen, des Giulietta Akts nch der Uraufführung vom 10.2. desselben Jahres. an der Opéra Comique in Paris und der Edition von Michael Kaye und Jean-Christophe Keck.
Wer sich im Giulietta Akt auf Dapertuttos berühmte Arie Scintile Diammant freut, da er sie in einer anderen Aufführung hörte, wartet vergeblich. Kaye- Keck ziehen stattdessen Tourne, tourne mirroir vor, so dass ein musikalischer Bezug zu Coppelius aus dem Olympia Akt hergestellt und dessen Arie: J‘ai des yeux. Zu sagen, dass Offenbach Leitmotive benutzt mag vielleicht übertrieben sein, doch andererseits ordnet er seinen Hauptfiguren doch hier und da Melodien zu, die sie alle Akte hindurch begleiten und sei es nur in Andeutungen durch kurzen Takt folgen. Was diese Oper für mich persönlich ist, eine gewisse auch musikalisch hörbare gute Dramaturgie, da Humor, Romantik und Tragik sich immer wieder abwechseln. Als Beispiele für Humor möchte ich da nur Frantz‘ Couplet aus dem Antonia Akt nennen

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Die Oper beinhaltet drei Erzählungen in einer Erzählung: Der in die Sängerin Stella verliebte Hoffmann vertreibt sich und seinen Freunden das Warten auf die (Ex?)Geliebte damit, dass er von seinen drei großen verlorenen Lieben: Die Puppe Olympia, die kranke Sängerin Antonia und die Kurtisane Guilietta, erzählt.
Angestachelt wird Hoffmann auch von Stadtrat Lindorf, der selbst ein Auge auf Stella geworfen hat und in allen drei Geschichten stets als Widersacher auftaucht. Schützend zur Seite steht ihm oft in der Gestalt seines treuen Freundes Niklausse, die Muse. Sie ist es auch, die sich Hoffmann am Ende als endgültige Geliebte in Form von Inspiration erwählt.
Dem Ganzen liegt das gleichnamige Theaterstück aus den Federn von Jules Barbier und Michel Carree zugrunde, das auf E.T.A. Hoffmanns Erzählungen Der Sandmann (Olympia), Rat Krespel (Antonia) und der Sammlung von 4 Erzählungen Abenteuer einer Sylvesternacht (Guiletta) basiert. Für das Opernlibretto dann zeichnet Barbier jedooch alleine verantwortlich. Er benutzt für den Guilietta-Akt aus der Silvesternacht-Sammlung die Episode: Das Verlorene Spiegelbild, fügt hier und da Figuren aus anderen Werken Hoffmanns hinzu und lässt auch Schlemihl (Chamisso, Peter Schlemihl) nicht unerwähnt.

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Die bittere Süße des Traumes als Teil der Realität
Daniele Finzi Pasca ist im positivsten Sinne des Wortes ein kreativer Tausendsassa und Alleskönner. Er begann seine Karriere als Zirkusartist, kennt sich aus in Clownerie wie auch Bühnenregie, veröffentlichte einige Bücher und ist seit 2011 einer der Leiter der Compagnia Finzi Pasca, deren Produktionen einen ähnlichen aber doch eigenen Zauber wie der Cirque duSoleil besitzen. In dieser Produktion von Hoffmanns Erzählungen entführen er, seine Mitregisseurin Melissa Vettore, wie auch Hugo Gargiula, Matteo Verlicchi (Bühnenbild), Giovanna Buzzi, Ambra Schumacher (Kostüme) Maria Bonzanigo (Chorografie), Marco Pichetti (Licht) und Roberto Vitalini (Video) uns in eine äußerst fantasievolle Welt, die aber so gestaltet ist, dass ein Bezug zur Realität nie verlorengeht. So spielt der Antonia-Akt vor, in und auf einer überdimensionalen Spieldose. Antonia, ein zerbrechlich schöner blauer Schmetterling, lebt in einer Art mit vielen Schmetterlingsbildern geschmückten Apothekerschrank mit unzähligen Schubladen. Als sei sie ein Exemplar einer seltenen, aussterbenden Art, das bewährt und gehütet werden muss. Der Giuletta-Akt spielt auf dem Markusplatz, Tauben in den Gestalten einiger Herren vom Chor inbegriffen. Dieses Bild, dass sich in einem riesigen Spiegel widerspiegelt und so den Blick auf einen Boden freigibt, der die Tierkreiszeichen zeigt, erhielt Szenenapplaus. Exemplarisch für all die vielen kleinen Besonderheiten, die es in der ganzen Oper zu entdecken gibt und die stets einen subtilen Symbolwert zu haben scheinen, immer irgendwie die innere Welt des Künstler Hoffmann mit (s)einer realen Welt verbinden.

Alle Fotos: Monika Ritterhhaus
Ähnliches gilt auch für die Kostüme. Hoffmann-Darsteller Benjamin Bernheim wie auch sein artistisches Double tragen der damaligen Zeit entsprechende Straßenkleidung, Niklausse Frack und als Muse einen feuerroten Einteiler mit fast Glockenrock weiten Beinen. Mich ließ dies sofort an eine Dompteuse im Zirkus denken oder eine andere glamouröse Artistin.Lindorf, mit seinem Backenbart und dem mit Pelzverbrämten Mantel, lässt an Offenbach selbst denken. Die restlichen Kostüme der von Pisaroni ehrlich unsympathisch dargestellten Hoffmann Widersacher passen immer zu dem jeweiligen Part. Eher schlicht, aber mit vielen Innentaschen im Mantel sehen wir im Olympia-Akt Coppelius gekleidet. Antonias Doktor Miracle gibt sich seriös, aber mit einem hohen Hut, so wie ihn die dubiosen Dottori zum Beispiel in Molìere-Stücken trugen. Glamourös in rotem Spiegel-besetztem Frack und mit gepuderter Perücke präsentiert sich uns Dapertutto im Guiletta-Akt,nie fehlen die spinnenbeinartigen Nosferatu-Finger.
Auch Olga Peretyatko bekommt ein stets zur Partie passendes Outfit. Olympia trägt ein Kleid, wie wir es von Spieluhren kennen, Antonia ein leuchtendblaues Abendkleid, allerdings mit Flügeln, als Giuletta dann trägt sie ein Kleid mit breitem Reifrock, dessen Stoff an Spiegel erinnert passend zum dem Auftrag. der ihr durch Dapertutto gegeben wurde, nämlich sein Spiegelbild zu stehlen. Stella ist elegant in creme-gold gekleidet, wirkt souverän und ätherisch.
Und ein kleiner Clou, der mir erst beim Applaus richtig ins Auge fiel. In den Luther und Wegner Szenen trägt der Chor Kleidung, die sie, gehen sie z.B. von rechts nach links als Kellner oder Dienstmädchen erscheinen lässt. Doch gehen sie von links nach rechts erscheinen sie als normale Gäste im Restaurant.
Alles an dieser Produktion lädt einfach ein zu schauen, entdecken, staunen und zu genießen.

Alle Fotos: Monika Ritterhaus
Doch auch der Hörgenuss kommt nicht zu kurz
Letzteres gilt auch für Leistung aller auf und vor der Bühne und auch jene Chormitglieder, die in den Logen der Ränge verteilt sind. Da ich das Feld ja gerne von hinten aufrolle, beginne ich nun auch mit Orchester und Chor. Kent Nagano und das Philharmonische Staatsorchester Hamburgspielen mit Freude und Genauigkeit und geben so Finzi Pascas Bildern den passenden wohlklingenden Rahmen. Der Chor auf der Bühne ist voller Spielfreude und bekommt beeindruckende Unterstützung von den unsichtbaren Kollegen aus den Ranglogen. Dieses Corona bedingte Arrangement beschert dem Publikum ein wahres Wow-Erlebnis
Aber auch Bernhard Hansky (Schlemihl/Hermann),Han Kim(Le Capitaine des Sbirres), Daniel Schliewa (Wilhelm, Wolfram), Jürgen Sacher (Spalazani), Donwang Kong (Nathanael), Martin Summer (Luther, Crespel) und vor allem Kristina Stanek verdienen großes Lob. Stanek (Antonias Mutter) beeindruckt durch ihre ungewöhnliche gut geführte Stimme aber auch durch ihr Kostüm, das an einen blassen Nachtfalter erinnert, dessen übergroße Flügel von zwei „Puppenspielern“ zum ätherischen Schwingen gebracht werden.
Nicht vergessen möchte ich auch die drei Akrobaten nicht. May-Britt Dettborn doubelt in schwindelnden Höhen Antonias Mutter. Jessica Caroline Gardolim Pinchetti ist am Boden, wie auch hochdarüber, ein zierliches Doubel der Muse und Sascha Laue amüsiert als Klein Zack. Ansonsten unterhält er sich mit Niklausse am Rande der Szene. Während der andere Hoffmann seinen Liebesabenteuern nachgeht. Köstlich auch die Szene wenn er in einem leeren Spiegelrahmen stehend, gelangweilt und keck darauf wartet, dass Hoffmann endlich in den Spiegel schaut.
Ein noch schöneres Kabinettstückchen liefert jedoch Gideon Poppe mit dem Couplet des Frantz‘, Headspinning, Moonwalking und einen augenscheinlich schmerzhaften Spagat ausführend, gibt er dieser und seinen anderen Figuren durch seine schöne Stimme einen Charakterzug, den ich bisher nicht kannte. Die Dienerrollen empfand ich früher oft einfach als albern und (gewollt)missklingend.Poppe änderte das.
Luca Pisaroni brilliert darstellerisch in allen seinen4 Partien, stimmlich wirkte er anfangs ein wenig unflexibel. Doch das ist Kritik auf höchstem Niveau und er macht sie auf jeden Fall unter anderem mit seiner affektierten Art als Dapertutto, der überlegenen Arroganz als Lindorfoder seine fast dämonische Ausstrahlung als Miracle mehr als wett. Seine Mimik und auch der Tonfall seines „Morte“. Wie er einen kleinen Schmetterling im Antonia-Akt, stellvertretend für diese, zertritt ist einfach herrlich widerlich.

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Mezzosopranistin Angela Browerist ein charmant zurückhaltender Niklausse und eine duldsam-energische Muse. Wieder sind es die Kleinigkeiten, die soviel ausmachen. Als Beispiel möchte ich die schnodderige Verve nennen, mit der sie sich des Gala-Gewands der Muse entledigt um zu Niklausse zu werden. So wie mich diese Geste schmunzeln ließ, sorgte ihre Stimmgewalt dafür, dass mir ab und an hinter der Maske der Mund vor bewundertem Staunen offen stand. Ihr Stimmumfang scheint riesig, ihr Volumen ebenfalls und beides weiß sie wunderbar zu nutzen und zu modellieren. Wie schade, dass sie, zumindest in nächster Zukunft nicht in anderen Partien hier auf der Bühne der Staatsoper zu sehen sein wird.
Dies gilt für sie: Olga Peretyatko, die nach langer Abwesenheit wieder da ist wo sie einst als Mitglied des Internationalen Opernstudios ihre Karriere begann. Lange schon gehört sie zur ersten Garde, zu den großen Stars. Zu jenen also, auf die man sich am meisten freut, die man aber gleichzeitig auch mit den höchsten Erwartungen belegt. Wir im Publikum können wohl nicht anders, wir wollen unsere Helden immerdar siegen sehen! Ein Thema, das mich, nicht nur in Bezug auf Olga Peretyatko, immer wieder bewegt und das ich in meinem bevorstehenden Interview mit ihr gerne vertiefen möchte.
Dieses Mal siegte sie auf jeden Fall. Okay, vielleicht kamen die Höhen der Olympia nicht mehr ganz so leicht wie vor einigen Jahren. Doch die Stimme hat sich auf jeden Fall weiterentwickelt und an viel Ausdruckskraft und Charakter dazugewonnen Die Ausschmückungen der Koloraturen faszinierten wie eh und je und ihre Leistung steigerte sich im Antonia-Akt, zart, sanft und schön fließen die Töne. Stimme und Gestik lassen keinen Zweifel an Antonias Liebe zu Hoffmann und Antonias zum Ausdruck gebrachter inneren Zerrissenheit. Berührt Peretyatkos Antonia tief, so ist sich Peretyatkos Giulietta ihrer selbst äußerst sicher, was sich im mit wunderbar spielerischer Leichtigkeit in der Arie /dem Duett L’amour lui dit zeigt.

Alle Fotos: Monika Ritterhaus
An der Freude, nicht nur an diesem kleinen Duett, hat natürlich Titelheld Benjamin Bernheim einen nicht geringen Anteil. Auch der französische Tenor gehört zu jenen, deren Auftritt mit besonderer Aufmerksamkeit und Vorfreude erwartet wird. Nun gab er -endlich- sein Hausdebüt, gepaart mit einer ersten Darbietung als Hoffmann. Lange habe ich überlegt, ob ich wirklich schreibe, dass ich der Meinung bin, dass es, bei aller ehrlichen und großen Begeisterung, noch Luft nach oben gibt. Nun ist es raus und völlig positiv gemeint! Er war toll, seine Stimme hat manchmal einen Schmelz der mich an Neil Shicoff denken lässt, auch die Höhen kommen kraftvoll und klar. Sein Klein Zack und besonders das daran anschließende Duett mit Lindorf zeigen bereits Bernheims stimmliche Wandelbarkeit. Kraftvoll bietet er das Lied dar um gleich darauf vor Ironie und verhaltener Häme geradezu zu bersten. Weitere Facetten zeigt er im Olympia- und für mich persönlich im Antonia-Akt.
Auch darstellerisch deckt er mühelos den betrunkenen Dichter, den Verliebten, den Enttäuschten und dem am Ende Geläuterten ab.Warum also diese „Luft nach oben Sache“? Vielleicht klingt es so besser: Wer ein solches Debüt hinlegt ist noch lange nicht am Ende seines Könnens
Es ist auch auf der anderen Seite eine Erfahrungssache, nämlich dass eine auf allen Ebenen so gelungene und umjubelte Premiere einfach alle Beteiligten noch mehr beflügelt. Ach und selbst wenn es bei den Leistungen der Premiere bleibt, hat Hamburg nun eine schöne Inszenierung, einer schönen Oper mit einer tollen Besetzung, die den Besuch der Vorstellung auf jeden Fall lohnt!
Fazit: Ein intensiver Bravi tutti-Ruf so lang wie dieser Artikel ausschweifend ist!!
Birgit Kleinfeld, Besuchte Vorstellung: Premiere am 5.9.2021
Links:
Staatsoper Hamburg:https://www.staatsoper-hamburg.de/
Daniele Finzi Pasca: https://finzipasca.com/en/
Olga Peretyatko: https://www.olgaperetyatko.com/
Benjamin Bernheim: https://benjaminbernheim.com/about/biografie/
Angela Brower: https://angelabrower.com/
Luca Pisaroni: https://lucapisaroni.com/
Kristina Stanek: http://www.kristina-stanek.de/
Gideon Poppe: https://gideonpoppe.de/