Lange suchte ich nach einem Anfangssatz. nach prägnanten und besonderen Worten um die außergewöhnliche Berliner Sopranistin Pia Davila vorzustellen. Bevor ich mich ihrer beeindruckenden CD O Luna mia widme. Dann entdeckte ich auf ihrer Homepage den Absatz ue.ber. mi,ch und entschloss mich ihn zu zitieren. Ohne etwas wegzulassen. Ohne etwas zu ergänzen. Da er viel erzählt und noch mehr offen lässt. Neugierig macht. Fasziniert und in den Bann zieht. Ebenso wie die CD.
„Singen. Die Freude am Klang. Der Geschmack des Wortes. Suchen. Die Schönheit in der Klarheit. p.s.d.ch. Schlankheit des Klanges. Texttreue. Treue im Triller. Körperarbeit. Unendliche Linien. Atem. O und Pause. Offene Ohren. Neue Ideen. Kreative Sorgen. Auf zu neuen Taten. Neue Musik. Neue Formen. Nichts ist alt. zart. Gemeinsam suchen. Kompositionen initiieren. so viele Kulturen. alles hören. immer weiter. Qualität. Monteverdi, Merula, Bach, Haydn, Debussy, Chaminade, Strawinsky, Henze, XY. Viele Freunde. Viele Freuden.
Was auf den ersten Blick einer sehr persönlichen, Brainstormingliste gleicht, enthüllt mir, sicher unter dem Einfluss der Klänge der CD, einen ganz eigenen Rhythmus, ein besondere Sprachmelodie. Vor allem aber eine Künstlerin, die selbstbewusst nicht macht, was „man“ macht oder wie „man“ es macht, sondern sich auf unausgetretene Wege wagt.

So gewann sie gerade als Sängerin und Darstellerin in dem Projekt Liedmovies. Eine musikalische Ausstellung zusammen mit Luise Kautz (Regie), Simon Jannsen (Video), Valentin Wattka ( Installation) die Ausschreibung #Liedinnovation 2021 des Rhonefestivals für Liedkunst (Brig/Wallis/Schweiz). Auch die Auswahl ihres Repertoires für ihre Debut-CD ist alles andere als einfach. Nicht nur auf den Anspruch der einzelnen Lieder bezogen, sondern auch in dem Sinne, dass Pia Davalis keine Lieder oder Arien gewählt hat, die per se den Erfolg eines Erstlingwerks garantieren, da wirklich jeder Klassikbegeisterte sie kennt oder sogar in mindestens einer Interpretation besitzt.
Pia Davila geht nicht auf Nummer sicher, wählt abgesehen von Claude Debussy, Komponisten abseits des Meanstreams der unterhaltenden Klassik. Nämlich Tanquinio Merula, dessen Werke dem italienischen Frühbarock zuzuordnen sind. wie auch die beiden jungen Komponist/innen Aigerim Seilova (*1987) und Lorenzo Romano (*1985). Diese Produktion verlangt und verdient die Art Aufmerksamkeit, die ein Text von Oscar Wilde, Thomas Mann oder Marcel Proust von ihren Lesern erwarten. Wie gesagt, mit Fug und Recht. Wer sich einlässt auf die poetisch tiefsinnigen Texte unbekannter Dichter, Poeten aus dem Barock (Pio de Savoia, Giordano Bruno) und der Romantik (Paul Verlaine, Théodore Faullain de Banville, Paul Bourget, Alfred Louis Charles de Musset-Pathay, Grégoire Le Roy) und die moderne Lyrik von Katharina Schultens, erfährt über 60 Minuten wahre Klangkunst. Wie gute Literatur entfaltet auch diese Musik ihre Wirkung am besten genießt man sie in kleinen Häppchen. Aber ganz auf Melodien, Texte und Soprangesang fokussiert.

Aigerim Seilova Foto: Tumen Dondukov (?)
Mit ihrem Eröffnungslied Folle è ben che si crede von Merula/Sevioa zaubern Davila und ihr Begleiter Andreas Nachtsheim umgehend die Atmosphäre, die in meiner Vorstellung dem Barock und seiner Musik anhaftet: Inhalte, die sich nicht selten an der griechisch römischen Mythologie orientieren von Sehnsüchten erzählend und auch von Qualen. Emotionen werden beschrieben und wollen auch hervorgerufen werden und das durch Musik in ihrer Reinform. In Folle è ben che si crede und auch den anderen von Merula komponierten Liedern (Nr.6.7.8.14.16.17) gelingen durch Pia Davilas klaren Sopran und dem Basso Continuo von Machtsheims Laute, wunderschöne Klanggebilde. Ob es sich nun um eine normale Laute oder aber Baroque Guitar, Archlute oder Theorbo handelt, höre ich zu meinem eigenen Bedauern nicht heraus. Die Begleitung, bei der sich verschiedene Akkorde um einen kontinuierlichen Basston formen und die Reinheit des Gesangs formen einfach ein wunderbares Ganzes. Davilas Stimme hat in den Höhen einen leichten metallen-scharfen Klang, der jedoch nicht schmerzt, sondern ohne dass ich es näher begründen oder erklären kann, die Wirkung, den Ausdruck erst vollkommen macht: Authentisch und wahrhaftig. Mir ist bewusst, dass der Ausdruck absolute Musik erst ca 200 Jahre später entstand und doch …
Und doch möchte ich ihn hier verwenden, denn er war das erste, das mir beim Hören dieser CD in den Sinn kam. Einfach weil für mich wirklich die Noten, die Melodienbögen, fließenden Tonlagenwechsel, der Rhythmus im Vordergrund stehen Ja ich kann es nicht anders sagen, Pia Davila bietet hier reinen Gesang ohne Schnörkel oder Eigenwilligkeiten, die nicht vom Komponisten vorgegeben sind.

Eric Schneider (Piano) Foto: Peter Adamik
Über die kasachische Komponistin Aigerim Seilova. die 20129 mit dem Paul Hindemith Preis ausgezeichnet wurde, ist auf der Seite der Hochschule für Musik und Theater Hamburg zu lesen, dass sie mit ihrer Musik Hörgewohnheiten durchbricht und Denkanstöße gibt. Was mich betrifft, kann ich dieser Aussage nur zustimmen. Ihre drei Stücke (Nr.9, 12, 13) und die Texte der zeitgenössischen Schriftstellerin Katharina Schultens stellen die größte Herausforderung an mein Musik- und auch mein Sprachempfinden. Denn die Lyrik ist auf eine Weise klangvoll und tiefsinnig, wie sie mir ebenso wie die Musik, fremd erscheint. Doch ich bin auch dankbar Komponistin und Lyrikerin entdeckt zu haben. Sie inspirieren dazu, sich näher mit ihren ganz persönlichen Künsten zu beschäftigen. Ich werde mich mit den Texten ganz intensiv beschäftigen, denn sie bleiben mir zusammen mit der Musik weitgehend unverständlich.
Wieder sind es die Sangeskunst der Sopranistin und die Komposition an sich, die im Vordergrund stehen. String (Nr.13) ist das Werk von Seilova/Schultens, das mich am meisten fasziniert. Ja, ich kann nur Fragmente des Gedichte verstehe, doch ist es nur allzu hörbar, dass es genau diese Worte und Silben sind, zu denen genau diese Musik gehört und umgekehrt um so zu wirken, wie Stings wirkt. Auch bei diesen Klängen zieht mich Davilas Stimme in den Bann, mit ihrer glasklaren Reinheit, die aber nicht nur glatt, sanft und weich klingt, sondern kraftvoll die beeindruckend schwierigen, schwierigen und beeindruckenden Melodienbögen meistert.
Der in Florenz geborene Komponist Lorenzo Romano, kann gerade 35 Jahre alt, schon auf eine umfangreiche weltweit veröffentlichter Werke zurück blicken. Momentan arbeitet er an La Luna einem Auftragswerk, für die Claussen-Simon-Stiftung, die auch für diese Produktion mit verantwortlich zeichnet und die Staatsoper Hamburg. Die Uraufführung wird – so Corvid19 will – am 18. 6. 21 in der opera stabile stattfinden.

Besonders Romanos Werke (2.15.18) und die Debussys scheinen namengebend für den Titel O mia Luna zu sein. In Luna Incostante Luna Varia (2,18) geht es um den sich wandelnden Mond, wenn in der deutschen Sprache auch männlich, so doch das Symbol für Weiblichkeit, der stetigen Veränderung. Der Text des Barrock-Dichters Giordano Bruno, erzählt, den Mon.d und die Sterne als Metaphern nutzend, von Schmerz und unglücklicher Liebe. Das Lied klingt sehnsuchtsvoll, wunderschön intoniert, beginnt mit lockenden Höhen, um dann in ungewöhnlichen, manchmal an Sprechgesang, manchmal an Vokalizing mahnende Melodienbögen immer melancholischer zu werden. Traurig. Wasserplätschern und ein Instrument, dass ich nicht wirklich identifizieren kann, aber eher einem Lauteninstrument als einem elektronischem zuordne, wirkt hier wie ein Basso continuo. Der Gesang, die sicher geführte Stimme stehen auch hier absolut im Mittelpunkt. In Sol che dal Tauro fai Temprati Numi (15) steht die Sonne, in den meisten Sprachen männlich, im Mittelpunkt. Das Stück ist weniger fließend im Rhythmus, eher staccato als legato. die finden wir dann eher wieder in der zweite Version von Luna Incostante Luna Varia. Als Zyklus hintereinander gehört, entfalten diese Werke und die Leistung von Pia Davila eine noch größere, eine andere Wirkung als von Merula oder/ und Debussy umrahmt.
Claude Debussy (Nr. 3, 4, 5,10, 11, 19, 20.21) steuert mit seinen acht Liedern den Hauptteil an Stücken und die dritte musikalische Epoche bei. Das Bindeglied zwischen damals und heute sozusagen. Pianist Eric Schneider und Pia Davalis führen uns mit Werken wie Clair de lune (3,20), Nuit d’étoiles (4) Pantomine auf der einen Seite in die bekannteren Gefilde des Liedgesangs. Und doch erkennt man Verbindungen zwischen den drei Genres, nicht nur weil auch Debussy zwei Versionen seiner Hymmne an die Mondin bietet. So verbindet unter anderem Nuit de etoile perlende Pianoklänge mit dieser ungewöhnliche Sopranstimme, die nie süßlich doch stets ausdrucksvoll, hier nun musikalische Bilder malt, die tiefer noch berühren, als Emotionen durch, wie ich es nannte, absolute Musik.
Fazit: Erneut bin ich dankbar über eine ungewöhnliche Produktion berichten zu dürfen, freue mich neues kennenlernen zu dürfen und Raum zu haben, zumindest einen Teil meiner Gedanken und Emotionen lesbar zu machen. Wie stets einfach in der Hoffnung andere neugierig zu machen und sie zu inspirieren: zum Lauschen, Fühlen, Denken, entdecken. Und last but not least hoffe ich nach dieser CD auf mehr von Pia Davila, gerne auch Lieder oder Arie, von einer ähnlichen Popularität wie die Debussys. Aber nicht nur …
Birgit Kleinfeld, 16.2.2021
Und hier noch mein Lieblingstrack:
Nähere Informationen
Pia Davila:
https://www.piadavila.com/
#Liedinnovation 2021/ Rhonefestival:
https://www.rhonefestival.ch/programm/
Lorenzo Romano:
http://lorenzoromano.com
La Luna Staatsoper Hamburg:
https://www.staatsoper-hamburg.de/de/spielplan/stueck.php?AuffNr=172723
Aigerim Seilova:
https://de.aigerimseilova.com/
Claussen-Simon Stiftung:
https://www.claussen-simon-stiftung.de/de/
Hochschule für Musik und Theater:
https://www.hfmt-hamburg.de/start/