Am vergangenen Sonntag hatte Jules Massenets Oper Manon an der Staatsoper Hamburg Premiere vor leerem Saal, ohne Publikum. Aber über Live stream auf NDR.de. Eine Premiere, die man statt in einem der roten Sessel im Zuschauer sitzend vom eigenen Sofa aus genießen kann, weckt gemischte Gefühle. Auf der einen Seite ist da Dankbarkeit vor allem gegenüber allen Beteiligten, auf, vor und hinter der Bühne. Aber auch Intendant Georges Delnon und auch dem NDR verdienen Dank dafür, dass es die Möglichkeit gibt dieses Stück genießen zu dürfen. Doch schön während des 1. Aktes gesellt sich eine Art wehmütige Sehnsucht zur Freude. Denn Massenets Musik, die szenische Umsetzung David Böschs und seines Teams und die stimmlichen und darstellerischen Leistungen von Elsa Dreisig (Manon), Ioan Hotea ( Chevalier Des Grieux) und allen anderen, ziehen vom ersten Moment an in den Bann.
1731 gelang dem Abbé Antoine-François Prévost mit seinem Roman Histoire du Chevalier Des Grieux et de Manon Lescaute in Meisterwerk, das nicht wenige Komponisten inspirierte. Unter anderem eben auch Jules Massenet und seine Librettisten Henri Meilhac und Philippe Gille. Massenets fünfaktiges Werk, erlebte am 19. Januar 1934 in Paris seine Uraufführung. Es erzählt die Geschichte der jungen Manon Lescaut, die sich, eigentlich auf dem Weg in das Kloster, in das Ihr Cousin sie bringen soll Hals über Kopf verliebt. Denn in einer Schenke trifft sie neben den beiden reichen, sie umgarnenden Lebemännern Guillot-Morfontaine und von Brétigny, auf den jungen Chevalier Des Grieux. Die beiden fliehen in Guillot-Morfontaines Kutsche um in Paris regelrecht von Luft und Liebe zu leben.

Alle Fotos: Brinkhoff-Moegenburg
Doch irgendwann erliegt Manon doch ihrer Sehnsucht nach Luxus und folgt von Brétigny in ein Leben voller Glitzer, Glamour und Ruhm. Irgendwann begegnet sie auf einem Fest zu ihren Ehren dem alten Des Grieux, der ihr berichtet, dass sein Sohn sich zum Priester weihen lassen will. Sie macht sich auf den Weg zu seinem Priester Seminar und kann ihn endlich überzeugen, sich zusammen mit ihr in einen Rausch aus Glücksspiel und Luxus zu stürzen. Eines Tages treffen die beiden nicht nur erneut auf Manons Cousin Lescaut sondern auch auf Guillot-Morfontaine. Der rächt sich für die damals erlittene Schmach indem er sie des Falschspiels anklagt. Des Grieux wird, nur zum Schein festgenommen, Manon aber droht die Deportation. Eine geplante Rettungsaktion von Des Grieux und Lescaut schlägt fehl. Als Des Grieux ein letzter Moment der Zweisamkeit mit der Geliebten gewährt wird, stirbt sie auf einer einsamen Landstraße nach Paris in seinen Armen.
David Bösch, Bühnenbildner Patrick Bannwart, Kostümbildner Falko Herold und auch der, für die Lichtregie verantwortliche Michael Bauer verlegen die Handlung ins Hier und Jetzt. Oder wie Bösch in einem Interview mit dem NDR sagte: in eine zeitlose Zeit.
Schon während des Vorspiel sehen wir Manon in einer Art Schattenspiel auf einem Koffer sitzend mit ihrer (zeichnerisch animierten) Katze spielen. Die gesamte Oper hindurch macht uns David Bösch immer wieder auf die Anwesenheit dieser Katze aufmerksam. Sei es durch den Katzenkorb den Manon bei sich trägt, durch eine Milchschale mit der das Tier an gelockt werden soll, ein Foto von Manon und einer Katze oder einer, auf den Gazevorhang projizierte in einer Blutlache liegenden, gezeichneten Katze. Diese Katze wirkt wie eine Art Sinnbild oder Alterego von Manon: Beide sind mit allen Konsequenzen bis in den Tod selbstbestimmt. Tötet Manon sich doch bewusst selbst mit einer flüssigen Droge.

Schon während des Vorspiel sehen wir Manon in einer Art Schattenspiel auf einem Koffer sitzend mit ihrer (zeichnerisch animierten) Katze spielen. In die ganze Oper hindurch macht uns David Bösch immer wieder auf die Anwesenheit dieser Katze aufmerksam. Sei es durch den Katzenkorb den Manon bei sich trägt, durch eine Milchschale mit der das Tier an gelockt werden soll, ein Foto von Manon und einer Katze oder einer, auf den Gazevorhang projizierte in einer Blutlache liegenden, gezeichneten Katze. Diese Katze wirkt wie eine Art Sinnbild oder Alterego von Manon: Beide sind mit allen Konsequenzen bis in den Tod selbstbestimmt. Tötet Manon sich doch bewusst selbst mit einer flüssigen Droge.
Überhaupt lebt diese Inszenierung von vielen Kleinigkeiten besonders auch im Spiel der Darsteller. Es ist auf positivste Weise unübersehbar, dass Bösch ein Schauspielregisseur ist. Einer der Menschen bewegen und Figuren mit all ihren Sehnsüchten, Befindlichkeiten und Fehlern glaubhaft entwickeln kann. So haben auch eher kleine Rollen Persönlichkeit. Zum Beispiel der an einen Hororfilmschlachter erinnernden Wirt, eindrucksvoll dargeboten von Bass Martin Summer, die beiden wandelbaren Gardisten (Collin André Schöning, Hubert Kovalcyk),Dimitry Ivashchenko als sehr gestrenger Graf Des Grieux. Oder die drei Starlets Pousette, Javotte und Rosette. Die von Elbenita Kajtaz, Narea Son und Ida Aldrian mit ebensolcher Spielfreude und stimmschön dargestellt werden, wie all die anderen und umfangreicheren Partien, in den wir die drei Damen schon erleben durften,
Bannwarts Bühnenbilder spiegeln die Atmosphären der jeweiligen Spielorte, zwar sparsam aber doch sehr authentisch wieder. Im ersten Bild Bahnhofsrestaurant Ambiente, im zweiten dann ein kleines Zimmer, das nur aus Bett, riesigem Fenster und kleinem Tischchen besteht. Das Fest für Manon findet in einem Edel-Spielsalon statt. mit einer Bühne, Glitzervorhängen und dem aussagekräftigen Schriftzug : C’est la vie. In Des Grieux‘ Priesterzelle, herrscht das Kruxifix vor, im nächsten Spielsalon ein großer Roulettetisch, auf dem im wahrsten und spannendsten Sinne des Wortes Russischroulette gespielt wird. Das letzte Bild dann zeigt die fast leere Bühne, nur die Lettern C’est la vie liegen auf dem Boden, bilden zusammen mit fallendem Schnee, Manons und hier auch Des Grieux letzte Ruhestätte. Denn er entschließt sich mit ihr zu sterben in dem er sich die Pulsadern aufschneidet.

Alle Fotos: Brinkhoff-Moegenburg
Auch die Kostüme von Falko Herold passen zu den Figuren und unterstreichen besonders im Fall von Manon und ihrem Cousin Lescaut die Entwicklung, die Veränderung. So wird aus dem verhuschten grauen Mäuschen, mit handgestrickter Mütze und passendem Schal, erst das Glamourgirl mit Abendkleid und Monroe-Perücke und dann das Luxusweibchen in edlem Pelz. Lescaut entwickelt sich vom rauen Typen in Leder, der die Ehre der Familie erhalten will, zum Kokser im Glitzerjacket und endlich zum Junkie im Unterhemd, der so zugedröhnt ist, dass er die Kälte nicht spürt.
Doch es ist nicht nur die Produktion, die zu Geschichte und auch Musik passt. Es sind auch oder vor allem die Musiker und die Sänger die zum Erfolg eines Stückes beitragen. Denn sie sind es, die sich dem Publikum stellen, und sei es auch nur indirekt mittels Kameraübertragung.
Der Generalmusiktheater des Saarländischen Staatstheaters Saarbrücken Sébastien Rouland und seine wenigen Musiker des Philharmonischen Staatsorchester Hamburg verzauberten mit dem Arrangement für ein kleineres Orchester von Dominique Spagnolo. Ist die Zahl der Musiker auch geringer, vermindert dies die Schönheit von Massenets Melodien keineswegs. Die Musik ist von einer Leichtigkeit, die nichts mit Oberflächlichkeit, doch alles mit den Facetten des Lebens zutun hat. Mit dem savoire vivre, das Leid ebenso beinhalltet wie Liebe und Leidenschaft verschiedenster Art.
Dem Chor der Hamburgischen Staatsoper wird zwar coronabedingt verwehrt, neben ihrem stimmlichen auch sein schauspielerisches Können unter Beweis zu stellen, agieren die Sänger doch aus den Zuschauerlogen der vier Ränge heraus. Die wenigen Darsteller auf der Bühne jedoch, spielen und singen mit der gleichen Intensität und Begeisterung, wie sie es sonst für ein gut besetztes Haus tun.
Mit wohlklingendem einschmeichelndem Bariton verleiht Alexey Bogdanchikov seinem von Brétigny jene lässig arrogante und auch zurückhaltende Eleganz, wie sie nur den wirklich Reichen zu eigen ist. Tenor Daniel Kluge als Guillot-Morfontaine hingegen, lässt äußerlich sofort an den lebenshungrigen französischen Schriftsteller Honoré de Balzac denken und agiert und singt auch mit großer Leidenschaft und überzeugt als Lebemann, der sich nimmt was er will.

Alle Fotos: Brinkhoff-Moegenburg
Björn Bürger brilliert in der Rolle des Lescaut, sein Bariton ist kraftvoll und im Ausdruck so wandelbar wie Bürgers Spiel. Mit der selben Inbrunst, mit der sich am Anfang als Schützer des Familienrufes aufspielt oder in Manons Rum und Reichtum schwelgt, gibt er sich am Ende verzweifelt der Drogensucht hin.
Der rumänische Tenor Ioan Hotea, gab meines Wissens nach ebenso wie Elsa Dreisig sein Hausdebut an der Staatsoper Hamburg. Eine undankbare Aufgabe, muss dies vor leerem Haus geschehen, die er aber mit Bravour erfüllt. Sein Des Grieux ist erfüllt von dem unerschütterlichen Glauben, dass Manon die Frau ist, deren Bild er schon immer im Herzen trug. Ist ja diese Abhängigkeit nur durch und für diese Frau leben zu können und zu wollen auch rollenbedingt, gelingt es Hotea doch dies auf besondere Art glaubhaft zu machen. So jugendlich wie seine Erscheinung, so jugendlich kraftvoll klingt auch seine Stimme. Sein Tenor mangelt es weder Stärket oder Zartheit. noch an jenem Schmelz, der für Rollen wie Des Gieux, Alfredo (La Traviata, Verdi) und all die anderen jugendlichen Helden des italienischen oder französischen Fachs prädestiniert.
In Mitteilungen der Staatsoper zu dieser Oper ist immer wieder zu lesen: Elsa Dreisig ist Manon. Es steckt viel Wahrheit in diesem kleinen Satz, denn die junge Sopranistin verkörpert die Rolle der lebenshungrigen jungen Frau mit viel Empathie und einer wunderschön klaren, stets sicher geführten Stimme. Ja! Elsa Dreisig ist Manon! Sie lebt diese Rolle in all ihren Facetten durch ihr Spiel ebenso wie durchihren Gesang. Beides setzt sie mit der gleichen Leichtigkeit und so selbstverständlich ein, mit der Katzen (hier ja eine Art Sinnbild, Avatar für Manons wesen) sich durch ihre Persönlichkeit in unsere Herzen schleichen. Dreisig verzaubert, betört, berührt. Zieht einfach ganz und gar in ihren Bann! Die zarten Töne beherrscht sie ebenso wie die leidenschaftlichen. Sie ist in den Höhen, wie in Mittellage und Tiefe gleichermaßen sicher, überzeugt als Naivchen, wie als Vamp oder aufrichtig Liebenden.
Fazit: Schön, dass es diese Vorstellung noch bis Freitag hier www.staatsoper-hamburg.de zu verfolgen sein wird. Und schön, dass diese Manon nun zum Repertoire gehört! Einem Live-Erlebnis steht also nur die Zeit im Wege. Und die besiegt man mit Geduld!
Birgit Kleinfeld, 27.01.2021