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Bilder einer Ausstellung – Mussorgki, Familien und Live- Zeichnen

Heute schlossen sich die Türen der Hamburgischen Staatsoper erneut bis (voraussichtlich) Ende November für das Publikum während die Proben weitergehen. Doch am Wochenende erfüllte die Musik von Modest Mussorgskis Bilder einer Ausstellung insgesamt drei Mal den Zuschauerraum. Mitglieder des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg unter der Leitung von Nicolas André präsentieren eine klassische und eine moderne Kammerorchesterversion der akustischen Wanderungen durch jene Tonbilder-Galerie, die Mussorgskis Werk suggeriert.

Das Ergebnis: Ein Nachmittag, der Familien und ihren Kindern klassische Musik näherbringt. Besonders auch durch Kinderbuchillustrator Timo Becker, der während die einzelnen Stücke erklingen, deren Inhalt/Titel sichtbar macht. Dies und die Begrüßung /Verabschiedung durch die Blechbläser im Eingangsfoyer, wie auch die Möglichkeit, Timo Becker schon vor Beginn der Vorstellung bei der Arbeit zuschauen zu dürfen, während Robert Jacob uns schon einmal am Piano einstimmt, spricht alle an. Alles zusammen erweckt auch in jenen, die kein Kind begleitet, kindliches Staunen und eine Freude, die durch Lächeln und einen, wenn auch sehr leichten, Bewegungsdrang nach außen drängt.

Robert Jacob, Timo Becker/ Foto: Niklas Marc Heinecke
 


Mussorgskis Zyklus für Klavier ist ein Paradebeispiel für Programmmusik und gehörte darum zu meiner Zeit zu den Stücken, die ausführlich im Musikleistungskurs bearbeitet worden und mich auf Dauer in ihren Bann zogen. Allerdings noch mehr in der Orchestrierung von Maurice Ravel, durch die das Stück zu ihrem heutigen Weltruhm gelangte. Bilder einer Ausstellung besteht aus 10 Sätzen/Bildern, die je nach Arrangement fünf bis sechs Mal durch eine Promenade miteinander verbunden sind. Das Faszinierende an Programmmusik ist, dass sie uns durch Tonfolgen, Rhythmen, Tempi und auch Instrumentenwahl, Emotionen, Dinge oder sogar, die Natur musikalisch nahe bringt. Denken Sie nur an Antonio Vivaldis Vier Jahreszeiten, Smetanas Die Moldau oder eben Mussorgskis Bilder einer Ausstellung.

Die Fassung an der Hamburgischen Staatsoper kombiniert das klassische Arrangement für 11 Musiker von Wolfgang Renz mit den in Teilen sphärisch anmutenden Klängen aus Flying pictures at an exhibition aus der Feder des Komponistenduos Vivan & Ketan Bhatti.
Renz ist gelungen trotz kleinerem Orchesters den Charakter zu erhalten und die Aussagekraft der einzelnen Bilder und Szenen hörbar zu machen. So sieht man zum Beispiel das grimmige Gesicht des No.2 Gnomus in einem knorrigem Bilderrahmen auf der Videoleinwand entstehen, während seine schlechte Laune und sein bösartiges Verhalten hörbar werden. Höhnisch durch die Flöte, bedrohlich wenn alle anderen dazu kommen. Beeindruckend auch No.6 Tuilerien (spielende Kinder im Streit) im direkten Vergleich mit No.7 Bydo (der Ochsenkarren). Hier dominieren Flöte (Eva Schinnerl), Klarinette (Christian Seibold), Violinen (Solveigh Rose, Marianne Engel) und Bratschen (Minako Uno-Tollmann, Henriette Mittag). Dort sind es in erster LinieTuba (Andreas Simon), Fagott (Fabian Lachenmaier) und Kontrabass (Katharina von Held).
Kurz: Übermut und Leichtigkeit trifft Schwerfälligkeit und Mühsal.

Nicolas André, Mitglieder des Staatorchesters/ Foto: Niklas Marc Heinecke

Aber dies sind nur Beispiele aus einem Werk, bei dem wirklich jeder Satz fasziniert und durch Töne unendlich viel zu erzählen hat. Das dabei verschiedene Instrumente und Arrangements ein und dem selben Stück einen völlig anderen Ausdruck geben kann, zeigen No.9 Ballett der Küken in ihren Eierschalen von Mussorgski/Renz und No.10 Chick’s Evolution von Mussorgski/Bhatti. Lassen Sie es mich kurz so ausdrücken: Zuerst klimpern die Ungeborenen regerecht in ohren Schalen. Dann aber werden sie auch akustisch größer, ja halbstark. Denn die Brüder Bhatti machen aus dem Original etwas modern aufsässig Klingendes. Die Hip-Hop Elemente höre ich persönlich zwar nicht wirklich, aber schon elektronischen Rhythmen. All ihre Überschreibungen aus denen ihr Werk Flying Pictures at an Exhibiton besteht, wirken auf der einen Seite ein wenig befremdlich oder ungewöhnlich. Aber gleichzeitig merkt man ihnen an, dass sie zum Tanzen gedacht sind. Zum Tanzen durch die Flying Steps, jenen jungen Leuten, die überaus erfolgreich (bearbeitete) Klassik mit Street Dance verbinden. Auch ohne Tanz ziehen die innovativen Bearbeitungen in den Bann. Unter anderem dadurch, dass sie auf eher ungewöhnliche Spielweisen des Klaviers (Robert Jacob) setzen und auf Schlagwerk verschiedenster Art, inklusive Donnerblech. (Fabian Otten, Matthias Hupfeld).

Nicolas André, Mitglieder des Staatorchesters/ Foto: Niklas Marc Heinecke

Aber auch die hier nicht erwähnten Stücke und Musiker, wie Markus Tollmann (Violoncello), Anna Bittel (Oboe), Jan Polle, Clemens Wieck (Hörner), Eckhard Schmidt, Martin Frieß (Hörner) und Philip Pineda Pesch (Posaune) machten aus diesem Nachmittag etwas Besonderes. Dirigent Nicolas André leitete seine Musiker mit geschickter Leichtigkeit, Freude und auch einer gewissen Empathie für die Arbeit von Timo Becker.
Und auch die Orchestermitglieder, die dieses Mal auf der Bühne spielten, begeisterten dadurch, dass sie wortwörtlich mit Leib und Seele spielten, besonders die 1.Violonistin Solveigh Rose berührte durch ihre authentische, hör- wie sichtbare Intensität.
Zwar unterdrückte das erwachsene, wie sogar das junge Publikum, den spürbaren Drang auch zwischen den Sätzen zu klatschen, doch der Schlussapplaus war langanhaltend und intensiv. Es gibt keinen Zweifel, dass eine baldige Wiederholung eines solchen Familienkonzertes mehr als erwünscht ist. Werke, die sich dazu eignen, gibt es ja in Hülle und Fülle.

Doch im Moment ist zumindest mein größter Wunsch, dass der Vorstellungsbetrieb schnell und wie geplant wieder aufgenommen werden darf, dass all jene, die dafür sorgen, dass wir eine schöne Zeit im Theater haben, gesund bleiben und weitestgehend frei von Zukunftssorgen.
Denn ohne sie wird es still, farblos und irgendwann erfüllt uns statt Freude nur noch innere Leere.
Birgit Kleinfeld, Vorstellungsbesuch 31.10.2020



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1 Kommentar

  1. Christiane Heid 3. November 2020

    Tolle Rezension, sie macht wirklich Lust darauf, selbst in die Vorstellung zu gehen und es live zu erleben.
    Vielen Dank dafür!

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