Irgendwie wurde mit der „Stilllegung“ des Kulturlebens auch meine Kreativität und damit auch operngestalten.de in eine Art Quarantäne geschickt, aus der ich nun endlich zurückkehren kann, dankbar, dass es für die Empfehlung von guter Musik kein „Verfallsdatum“ gibt. Schon gar nicht für etwas, das nicht Mainstream ist, sondern eine Art Kleinod, das erst einmal gefunden werden will, um dann eine Sammlung zu bereichern oder einfach nur Hörgenuss zu schenken.
Komponist Stefan Schäfer, das Ensemble Acht und die Sopranistin Gabriele Rosmanith beweisen mit dieser CD, dass sie ein Team der leisen, aber umso ausdrucksvolleren Töne sind.
Gabriele Rosmanith, Kammersängerin der Staatsoper Hamburg, faszinierte zuletzt in der beinahe stummen Rolle der Clothilde in Vincenzo Bellinis Oper „Norma“ durch unprätentiös intensive Bühnenpräsenz. Auf dieser CD nun erweckt sie mithilfe von Schäfers Melodien Gedichte von Ror Wolf, Gertrud Kolmar, Max Dauthendey und Daniil Charms mit klarem Sopran und viel Einfühlungsvermögen zum Leben.
Und dies mit einer Leichtigkeit, die ich mir oft wünsche, will ich Ungewöhnliches in Worte fassen, die ihm auch wirklich gerecht werden. Jedes einzelne dieser 29 „Klangbilder“ , wie Stefan Schäfer seine Werke nennt, wird diesem Namen gerecht.
Eigentlich sind es sogar „Klangszenen“, „Klanggeschichtchen“, die Schäfer, Rossmanith und das Ensemble Acht da vor den inneren Augen und Ohren der Zuhörer entstehen lassen.

Da wäre zum ersten „Herren“ ein Gedichtzyklus von Ror Wolf. Die acht Lieder, komponiert für Sopran, Flöte, Cello und Klavier sind wie ein Gemälde auf dem man bei jedem Betrachten etwas Neues entdeckt, wenn auch nicht mit den Augen, sondern den Ohren. Es sind stimmungsvolle Szenen, die einen Blick auf das Leben werfen. Einmal mit der keck heiteren Beschreibung der Unterschiede der „Zwei Herren am Abend“, einem Lied, bei dem besonders Sopran und Flöte in einen spielerisch leichten Dialog gehen. bei dem es sowohl Björn Westlund als auch Gabriele Rossmanith gelingt, Text und Melodie einen augenzwinkernden Touch zu verleihen.
In „Schlechte Laune“ zaubern Schäfer durch seine Komposition, Wieslund durch sein Flötenspiel, Eberhardt Hasenfratz am Klavier und Gabriele Rossmanith durch ihre Interpretation von Worten und Musik ein Lächeln aufs Gesicht des Hörers. „ Kenn ich!“ schmunzeln wir in uns hinein oder ähnliches.
Auch die restlichen Stücke von „Herren“ malen Klangbilder von Szenen und Gefühlen, die wir alle kennen. Klangbilder, die nicht immer zum Lächeln bringen, doch tief unter die Haut gehen und sich einnisten in Ohr und Seele.
Wie zum Beispiel „Siehe oben, siehe unten“, einem Lied, bei dem die Sopranistin spätestens mit der Art, wie sie das letzte Wort, das Wort „tot“ intoniert, für Gänsehaut sorgt. Oder „Wetterverhältnisse“, einer traurigen Weise, bei der besonders Ingo Zander und sein Violoncello Melancholie verbreiten.
Wirklich, die Worte von Ror Wolf verschmelzen zusammen mit den Noten Stefan Schäfers, dem ausdrucksstarken Sopran von Gabriele Rossmanith und der Leistung des gesamten Ensembles Acht zu Werken, die eine wahrhaft ausführliche Besprechung verdienen. Ausführlicher noch als all die Worte zu denen ich mich hinreißen ließ.

Auch der Gedichtzyklus „Blaues Herz“ von Gertrud Kolmar, verdient viel mehr Worte, als es sich für eine CD- Besprechung ziemt, insbesondere eine, die bewusst weitgehend auf Hintergrundinformation verzichtet.
Wo Wolf in seinen Worten direkt du klar, ist Kolmar in ihrer Sprache poetisch und reich an Metaphern und Verschleierungen.
Alle vier Lieder sind melodischer, sangbarer als der erste Zyklus. Sie verführen die Tänzerin, die allerdings nur in meiner Seele lebt, dazu sich zu wünschen, diese Werke, am liebsten zusammen mit den sieben „Mondgesängen“. Denn die Gedichte von Max Dauthendey verlangen durch die sensible Vertonung Schäfers, wie auch die symbiotisch harmonische Interpretation von Gabriele Rossmanith, Annette Schäfer und Bogdan Dimitrascu (Violine), Thomas Rühl (Viola.), Stefan Schäfer (Kontrabass) und Ingo Zander geradezu danach, szenisch vertanzt auf einer Bühne präsentiert zu werden. Vorzugweise auf einer ähnlich der, der Opera stabile, wo Nähe und Intimität zwischen Akteuren und Zuschauern die passende Atmosphäre dafür bieten, Schäfers Klangbilder nicht nur im inneren fühl-, sondern auch sichtbar zu machen.
Um wie schon beim ersten Zyklus Beispiellieder zu nennen, möchte ich hier bei –„Blaues Herz“ auf „Hörst du mich?“ hinweisen, das besonders zu Herzen geht und einen Wiedererkennungseffekt hat.
Texte , die sich um den Mond drehen, haben für sich schon etwas mystisches. Bei „Zwei schwarze Raben“ gelingt es allen Beteiligten, jenen Grusel hervorzurufen, der köstlich unsere Sehnsucht nach ein wenig geheimnisvoller Gefahr bedient.

„Es war einmal“, der zehnteilige Gedichtzyklus von Daniil Charms, ist der, der meines Erachtens die meiste Konzentration verlangt. Auch hier entsteht der Wunsch, die Bilder, die im Inneren hervorgerufen werden sichtbar gemacht und real zu erleben. Mehr noch als bei den mystisch romantischen „Mondgesängen“, wird der Hörer hier durch eine gewisse Schwere gefangen genommen.
Hört man „Herren“ gerne ob des ironischen Humors der sich in jedem Werk auf jeder Ebene widerspiegelt. Liebt man „Blaues Herz“ wegen der romantischen Melodiösität und „Mondgesänge“ aufgrund der Mystik. So ist es eine Art tiefer Traurigkeit von der eine szenische Umsetzung noch leichter befreien würde, als mehrmalig Hören. Wird doch, was wir sehen, auch im übertragenen Sinne greifbarer und leichter „verdaulich“.
Wie oder wo man diese von mir aus Überzeugung so hochgelobte CD findet? Hier zum Beispiel http://www.ensemble-acht.de/discographie/discographie.html.
Jeder, der nicht nur klassischen Mainstream mag, sondern gerne auch Neues kennenlernt, sollte zugreifen. Wirklich.
Birgit Kleinfeld, September 2020