Eigentlich, ja eigentlich war Paul Abrahams Operette Märchen im Grand-Hotel für die Intimität der Opera stabile gedacht und nicht für das Große Haus der Staatsoper Hamburg. Doch nun findet die amüsante Geschichte um eine Prinzessin, einen Zimmerkellner, einen Filmproduzenten und dessen findige Tochter vor dem eisernen Vorhang auf der Vorderbühne, also über dem Orchestergraben statt.
Sicher, in der Opera stabile hätte diese Inszenierung von Sascha- Alexander Todtner noch mehr Begeisterung hervorgerufen, denn sie ist einfach konzipiert für einen Raum, der mehr Nähe zum Publikum bietet. Doch abgesehen davon kommen in diesem „Grand-Hotel“ Zuschauer und Darsteller gleichermaßen auf ihre Kosten.
In Märchen im Grand-Hotel will die energische Marylou ihren Vater, einen Filmproduzenten, durch die Idee vor dem Ruin retten, einen Film zu drehen, in dem echte Menschen die Hauptrollen spielen. In Cannes findet Marylou im Grand-Hotel das passende Filmmaterial: Der Zimmerkellner Albert ist unsterblich verliebt in Isabella, Infantin von Spanien. Die plagen dort im Exil Geldsorgen, die sich auch durch den Verkauf ihrer geerbten Perlenkette nicht beheben lassen. Sie scheint ihre Standesdünkel Albert gegenüber zu spät zu überwinden und damit ihr Liebesglück zu verpassen.

Uraufgeführt wurde Märchen im Grand-Hotel 1934 in Wien, die deutsche Erstaufführung jedoch fand erst 2018 in Berlin statt. Nun kam das Werk nach Hamburg und Sascha-Alexander Todtner, der zusammen mit seinem Bühnenbildner Christoph Fischer auch für die Kostüme verantwortlich zeichnet, präsentiert dem Publikum eine Mischung aus 30er-Jahre Revue am Rande des Slapsticks und ein wenig auch an eine moderne Variante der Commedia dell’arte. Letzteres zum Beispiel aufgrund der demonstrativ gewollt künstlich wirkenden Perücken und Bärte oder auch der einfach Mittel mit denen die Darsteller in verschiedenen Rollen schlüpfen. So werden die Bärte bei Bedarf halt abgenommen, es wird ein Schleier übergeworfen, ein Servierschürzchen über das eigentliche Kostüm gebunden oder der Kummerbund des Kellners wird durch Hochklappen zu der Knopfleiste einer Uniform. Passend zu den schrill-schönen Kostümen erstrahlt der Obertext, nicht in schwarz/weiß, sondern in Pink auf Schwarz. Gezeigt werden die Gesangstexte und hier und da Schlagzeilen artige Beschreibungen der Ereignisse.
Das Bühnenbild selbst besteht aus samt bezogenen „Versatzstücken“, einem extra breiten Sessel und einer für Hotels typischen Drehtür die gleichzeitig als Abstandhalter bei Liebesszenen dient.
Auf Requisiten, wie jene Perlenkette, eine Filmkamera oder Gläser wird verzichtet. Doch die unbändige Spielfreude aller Darsteller lässt die Phantasie ersetzen, was dem Auge fehlt.

Sogar der Pianist und musikalischer Leiter des Abends Georgiy Dubko hat zu Beginn eine kleine amüsante Spielszene, wenn er mit Flasche und Glas „bewaffnet“ zu seinem Flügel schlurft. Aber auch seine Musikalität überzeugt, ebenso wie das Können des zweiten, aber unsichtbaren Pianisten Johannes Harneit und vom ebenfalls aus dem Bühnenbild-Off spielenden Schlagzeugers Peter Hofbauer.
Absolut witzig stimmtechnisch und körperlich in bester Verfassung ist das Vokalquartett der Boys, bestehend aus den beiden Tenören Hiroshi Amako und Seungwoo Simon Yang, wie den beiden Bässen David Minseok Kang und Hubert Kowalczyk. Diesen jungen Herren dabei zuzusehen und zuzuhören wie sie die Hüften schwingen, tanzen oder auch Instrumente imitieren, macht einfach nur Spaß.
Ihre komödiantische Ader stellen auch Bass Martin Summer in den Rollen von Filmprodutent Sam Makintosh und Präsident Chamoix und Tenor Peter Gaillard als Prinz Andreas Stephan und als Barry unter Beweis. Summer, rollengemäß eher zurückhaltend. Gaillard, quirlig, jodelnd und einfach witzig.
Dem jungen Bariton Nicolas Mogg fällt die Aufgabe zu gleich drei Personen darzustellen. Da ist zum einen der Arzt Dr. Joshua Dryser, dann der altersschwach zitternde Großfürst Paul und natürlich der jugendliche Held, der zu Beginn eher ein Antiheld ist, Zimmerkellner Albert. Alle Aufgaben meistert er ohne Schwierigkeiten. Sein Lied „Die schönste aller Rosen …“ bietet er mit Elan und stimmlichen Schmelz dar, auch wenn es auch bei seiner Partie das Schauspiel ist, das im Vordergrund steht. Hier möchte man, dem herrlich unbeholfenen Albert manchmal einen Schubs in Richtung Prinzessin geben, wünscht sich aber an einzelnen Stellen, er dürfe oder würde etwas weniger albern sein. Doch ist dies, das berühmte Meckern auf hohem Niveau.

Absolut hohes Niveau bieten hingegen die beiden Damen des Abends.Mezzosopranistin. Ida Aldrian spielt zum einen Isabellas Hofdame Gräfin Inez de Ramirez. Aber vor allem ist sie auch die lebenshungrige, ehrgeizige Marylou Makintosh. Als diese springt sie über die Versatzstücke, singt, tanzt , ja, steppt mit einer Leichtigkeit, die Staunen lässt und ihr auch wohlverdienten Zwischenapplaus und Bravos einbrachte. Wie schön, dass sie bald unter anderem auch als Dorabella in Mozarts Cosi fan tutte zu sehen sein wird.
Entzückend hoheitlich distanziert das ist, zumindest am Beginn, Narea Sons Infantin Isabella. Nach und nach wird aus dieser dann aber die ebenso entzückende, verliebte und selbstsichere Darstellerin Isabella de Rio, die nur allzu gerne den verlorenen Thron mit dem Ruhm von Hollywood tauscht. Auch gesanglich zeigt Narea Son ihre Ausdruckskraft und ihre technische Versiertheit, wie auch die Leichtigkeit, mit der sie die Höhen meistert.

Ach, wie wünschenswert wäre es doch, dieser Abend dürfte und würde irgendwann einmal in der Opera Stabile gezeigt werden. Denn so wie Kleider Leute machen, so intensivieren Orte meiner Überzeugung nach auch die Wirkung von Theaterstücken.
Doch auch hier wurden alle Beteiligten mit anerkennenden Pfiffen, vielen Bravorufen und noch mehr Applaus belohnt. Und das Publikum mit guter Laune in den Spätsommerabend entlassen.
Birgit Kleinfeld (Vorstellungsbesuch 13.9.2020)