Noch weitere drei Mal erzählen Andrzej Dobber, Allison Oakes, Michael Schade, Wilhelm Schwinghammer und alle anderen Darsteller sängerisch versiert in Richard Wagner Oper „Der fliegende Holländer“ die Geschichte von Senta, die bereit ist, einen für alle Ewigkeit Verdammten von seinem Fluch zu erlösen. Dann verabschiedet sich die Inszenierung von Marco Arturo Marelli für immer von der Bühne der Staatsoper Hamburg.
Der Auftakt zu dieser Abschiedsserie war vielversprechend,wenn auch mit ein wenig „Luft nach oben“ und wurde mit viel Applaus belohnt.
Richard Wagners romantische Oper gilt als Grundstein für seinen späteren, ganz eigenen Stil. Wie in den meisten seiner Werke behandelt auch „Der fliegende Holländer“ ein Thema aus der Welt der Sagen und Legenden, wenngleich es auch auf der Geschichte eines realen Seemanns basiert.
Seit unzähligen Jahren irrt ein Schiff mit blutroten Segeln und schwarzem Mast, einem Fluch geschuldet über die Weltmeere. Nur alle sieben Jahre legt es an und der Kapitän macht sich auf die Suche nach der einen Frau, die „…treu ist, bis in den Tod.“ Endlich trifft er auf Daland, der ihn als Gast mit ins eigene Haus nimmt. Dalands Tochter Senta stellt sich dann als die Retterin des Verdammten heraus und folgt ihm gegen alle Widrigkeiten, als er sich zurück auf sein Schiff begibt, noch glaubend auch sie hätte ihn verraten.

Marco Arturo Marelli, verantwortlich für Regie und Bühnenbild, wie auch seine Frau, die Kostümbildnerin Dagmar Niefind-Marelli verzichten in der 24 Jahre alten Produktion auf alles, was romantisieren könnte. Sie setzen vielmehr auf gute Lichtregie (Manfred Voss), klare Farben im Bühnenhintergrund: Tiefes Blau für Meer und Himmel, einen blutroten Vorhang, der als Segel fungiert und während des Zwischenspiels zum zweiten Bild den Umbau kaschiert. Ansonsten verlassen sie sich ganz und gar auch auf die bildmalerische Leitmotivik Wagners.
Bekanntermaßen brachte er diese Kunstfertigkeit in seinem „Der Ring des Nibelungen“ zur Vollendung. Doch schon hier führt der Komponist uns gekonnt mit verschiedenen Motiven durch die Geschichte und die Gefühle der Protagonisten und lässt, dank des Erlösungmotivs keinen Zweifel daran, dass was Senta über sich sagt, stimmt: „Das Ende deiner Qual ist da! – ich bin’s, durch deren treu‘ dein Heil du finden sollst!“

Altmeister Christof Prick, ausgewiesener Experte besonders für die Werke von Mozart, Strauß und Wagner und dem Philharmonischen Staatsorchester Hamburg gelang es nicht 100 % zu überzeugen und in den Bann zu ziehen. Zum Teil aufgrund einiger kleiner Schwächen bei den Bläsern, aber zum größten Teil, weil der Funke nicht wirklich überspringen wollte, etwas das vorkommt, ohne leistungsabhängig zu sein.
Die Damen und Herren des Chors der Hamburgischen Staatsoper und Katja Pieweck als launig strenge Mary verliehen dem Abend durch das „Spinnlied“ und die“ „Steuermann-halt-die-Wacht“ Szene eine authentisch lebendige Note.
Der junge Tenor Daniel Kluge gestaltet den Steuermann natürlich und absolut glaubhaft. Sein Lied „Mit Gewitter und Sturm“ ist nicht, wie zu Beispiel bei seinem Kollegen Dovlet Nurgeldiyev, lyrisch zart geprägt. Dafür ist sein Gesang aber von jener kraftvoller Klarheit, die ihn Momenten prädestiniert für Rollen wie Carl Maria von Webers Max oder auch Wagners Mime, später ja aber wahrscheinlich auch für den Erik und andere wichtige Partien aus dem deutschen Fach.
Sein Kollege Michael Schade zeigt als Erik eine ganze Palette an Emotionen. Sein Spiel ist geprägt von intensiver, aber nie übertriebener Körpersprache und Mimik. Man nimmt sie ihm ab, seine kaum im Zaum gehaltene Wut und Verzweiflung, fühlt mit ihm, dem Mann, der für einen „Geist“ verschmäht wird. Denn Schade gelingt es, dank seiner Fähigkeit auch seine Stimme den Gefühlen und Worten anzupassen, von Eriks Liebe und seinem Leid zu überzeugen.
Wilhelm Schwinghammer gibt trotz geschickter Maske einen recht jugendlichen Daland. Sein Bass, dem es weder an Fülle noch an sicher eingesetztem Umfang mangelt, hat dieses besondere Timbre, das der Stimme eine Leichtigkeit verleiht, der der Hörer nicht widerstehen kann. Diesem Daland verzeiht man einfach ohne Zögern, dass er die eigene Tochter „verhökert“.

Allison Oakes gelingt es, ihre Senta so zu porträtieren, dass jeder sie und ihre Hingabe an das Traumbild „Holländer“ ernst nehmen muss. Ihr „Ich sei’s, die dich durch ihre Treu‘ erlöse! Mög‘ Gottes Engel mich dir zeigen! Durch mich sollst du das Heil erreichen!“ lässt durch Haltung, Mimik und vor allem Ausdruck, keinen Zweifel daran, dass sie es genauso meint, wie sie es singt. In Opern des italienischen Fachs würden ihre Höhen leicht als schrill und blechern gelten, hier jedoch haben sie den gewünschten Stahl, der Wagner Heroinen ihre Besonderheit verleiht.
Nach Andrzej Dobbers Auftrittsszene als Holländer „Und wieder sind verstrichen sieben Jahr‘ …“, geschah etwas, dass in Wagner Opern unüblich ist: Es gab vereinzelt Szenenapplaus.
Dobber ist ein Holländer, der für sich einnimmt, da er sich nicht scheut, in jedem Ton, jedem Wort, die Sehnsucht nach Erlösung, den Selbsthass und eine gewisse Hoffnungslosigkeit mitschwingen zu lassen. Immer authentisch, stets ohne jegliche Effekthascherei. Denn er bleibt bei großer stimmlicher Intensität sparsam in seinen Gesten.
Dobbers darstellerische, wie stimmliche Wandlungsfähigkeit erlaubt ihm ein Repertoire, das neben einem Holländer und einem Klingsor (Parsifal, Wagner) auch einen Jago (Otello, Verdi) und einen Rigoletto (Verdi) einschließt. In diesen Rollen wird er noch diese Spielzeit hier zu erleben sein.
Alles in allem ein angenehmer „Wagner-Abend“, der bedauern lässt, dass dieses vielschichtige, doch auch kurzweilige Werk auf unbestimmte Zeit vom Spielplan der Staatsoper Hamburg verschwinden wird.
Birgit Kleinfeld, Vorstellungsbesuch: 18. 02. 2020