Auch nach der desaströsen Uraufführung an der Mailänder Scala 1904, glaubte der Komponist Giacomo Puccini fest an sein Werk und die Geschichte um die blutjunge Geisha Cio-Cio-San und den amerikanischen Marineoffizier Pinkerton. Er nannte Madama Butterfly seine „empfindungsreichste Oper“.
Was vom Inhalt her für die Mailänder damals zu fremd und exotisch, begeistert noch heute Opernbesucher überall auf der Welt. So auch am 15. 2. 2020 das Publikum der Staatsoper Hamburg, das sich an einer in allen Belangen ausdrucksstarken Besetzung erfreuen durfte. Allen voran Elena Guseva in der Titelrolle.
Verschmelzung der Unterschiede
Drückt Musik auch stets Emotionen aus, oder wie Victor Hugo sagte „ … , was nicht gesagt werden kann und worüber zu schweigen unmöglich ist.“, gibt es dennoch kaum jemanden, dem es gelingt, intensiver in unsere Gefühlswelt einzudringen, als Giacomo Puccini mit seiner Musik im Allgemeinen und den Schlussakkorden seiner Opern im Besonderen.
Schon mit den ersten Takten entführt uns der Komponist mitten hinein in die fremdartige Welt der kindlichen Geisha Cio-Cio-San. Sie wähnt sich glücklich, dass Pinkerton Marineoffizier und Lebemann sie heiraten will, hat dafür sogar seinen Glauben angenommen und nimmt in Kauf, dass ihre Familie sie verstößt. Für ihn jedoch ist alles nichts anderes als ein Spiel, er sehnt sich nach der Heimat, um dort „richtig“ zu heiraten. Zwei Kulturen, zwei Erwartungen treffen aufeinander. Ihre Unterschiede bringt Puccini uns nahe, indem er in der östlichen Musik üblich Instrumente und Klänge, mit denen, die wir von seinen Werken kennen, regelrecht verschmelzen lässt. Auch den Librettisten Giuseppe Giacosa und Luigi Illica gelingt eine Symbiose die Unterschiede von Ost und West. Ihre Worte sind so blumig umschreibend, wie ihre Liebe tief ist. Seine sind so direkt wie oberflächlich und doch entfalten sie erst als Ganzes genommen ihre Wirkung.
Der Schlussakkord bringt alles auf den Punkt
Zum ersten Mal zeigt sich die Vollkommenheit von Emotionen, Text und Musik im Liebesduett am Ende des ersten Aufzugs, wenn Pinkerton Butterfly verführt und sie sich ihm voller Liebe und der Sehnsucht nach seiner Welt, hingibt. Bittersüße Klänge lassen uns, die wir das Ende kennen oder, doch zumindest erahnen, mitfühlen.
Dann verlässt er Haus und Land, während sie, mit ihrer Dienerin Suzuki und bald schon mit dem gemeinsamen Sohn auf seine Rückkehr wartet, sich gegen Spott und die Anträge eines reichen Mannes wehrt. Unerschütterlich bleibt sie dabei „Un bel di vedremo …“.
Der Summchor dann, leicht und eingängig in der Melodie, macht Butterflys Zerbrechlichkeit noch einmal deutlich. Musikalische Themen kehren wieder, doch jetzt schwingt nicht nur Sehnsucht mit.

Unterhalb der Melodie droht sich Unheil an, in den Blechbläsern, im Schlagwerk. Langsam, gemeinsam mit der weiteren Entwicklung der Geschichte spitzt sich auch das Drama in der Musik zu, bahnt sich auch immer wieder Zärtlichkeit und Hoffnung den Weg.
Dann naht das Ende, denn zwar kehrt Pinkerton nach drei Jahren wirklich nach Japan zurück, doch tatsächlich in Begleitung einer amerikanischen Ehefrau.
Butterfly sucht er nur auf, weil er plant, den gemeinsamen Sohn mit nach Amerika zu nehmen. Als ihr das bewusst wird, geht eine Welt für sie unter, sie beschließt: „Ehrenvoll sterbe, wer nicht länger mehr leben kann in Ehren.“ und nimmt sich das Leben. Pinkerton kommt zu spät und seine verzweifelten „Butterfly! Butterfly“ Rufe, wie eben jener, alles zusammenfassend kommentierende Crescendo-Akkord zeigen auch uns: „Es ist aus.“
Träumern ihre Traumwelt erhalten. Oder lieber nicht?
Das Bühnenbild von Vincent Lemaire wird beherrscht von einer, an eine Helix erinnernde Treppe, die von der Unterbühne in den Bühnenhimmel führt.
Ansonsten wird die helle, östlich spartanische Kulisse nur von einer Art Nische im Hintergrund ergänzt und im zweiten Akt zusätzlich mit einem Ledersessel. Eine sichtbare Verbindung zu der Welt des Pinkerton, wie auch in einer Szene der Zigarettenspender, den Cio-Cio-San einem Gast stolz präsentiert.
Auch Christian Lacroix gelingt mit seinen Kostümen eine subtile Verknüpfung zwischen japanischer Tradition und westlichem Kleidungsstil, der sich in Anzügen unter farbenprächtigen Gewändern oder der Art der Accessoires zeigt.
Das Team um Regisseur Vincent Boussard setzt auf Konventionelles mit einem Schuss Ungewöhnlichem. Denn es gibt keinen wirkliche Sohn von Pinkerton und Butterfly, sondern stattdessen einen ganzen Wandschrank voll von Puppen in Marineuniformen, von denen sie vornehmlich eine bestimmte wie ein lebendiges Kind behandelt. Es mag anfangs befremdlich wirken, doch es bietet dem Zuschauer auch die Möglichkeit zu eigenen Interpretationen. Denn wäre es so ungewöhnlich, wenn alle anderen mitspielten und ihr die Puppe wegnehmen möchten, um sie in dem Glauben zu lassen, ihr Sohn stünde eine gute Zukunft offen? Einfach um ihr, die ja auch noch ein halbes Kind ist, einen Neuanfang zu ermöglichen, wenn auch eine ohne den so geliebten Mann.
Ihr Tod ist ebenfalls rätselhaft. Sie begeht keinen rituellen Selbstmord auf offener Bühne, sondern verlässt diese, den semi transparenten Vorhang schließend, der die Duschnische vom Rest der Spielfläche trennt.

Mit den letzten furios dramatischen Takten weht der Vorhang dann im Wind, der Wandschrank öffnet sich, das Puppenkind fällt heraus und zerbricht. Hat sie sich in die Tiefe gestürzt? Schließlich steht das Haus auf einem Berg. Hat sie, die sich ab dem zweiten Akt westlich kleidet, sich entschlossen, auf westliche weniger rituelle Art aus der Welt zu scheiden? Will sie noch im Tode Rücksicht auf jenen nehmen, der sie nur benutzte, sie kaufte? Oder ist alles ganz anders gemeint?
Im Grunde ist es gar nicht wichtig. Boussard drängt uns nichts auf, überlässt es jedem Einzelnen, was er denken möchte.
Überaus rührend inszeniert ist jene Szene, wenn Butterfly sich in Erwartung von Pinkertons Besuch unter jener Dusche, gründlich reinigt. Nur als Schemen durch den Vorhang sichtbar und während des Zwischenspiels zum letzten Bild. Schließlich kuschelt sie sich nur mit (s)einem Bademantel bekleidet und mit feuchten Haaren in den Sessel. Schlafend. Wartend.
Und nicht nur diesem Moment haucht Elena Guseva glaubhaft und emphatisch Leben ein. Nein, von Anfang an überzeugt sie in dieser anspruchsvollen Partie.
Tour de Force klingender Emotionen
Bei Namen wie Cio-Cio-San werden Assoziationen an sehr zierliche Frauen wach. Kaum eine Sängerin mit ethnischen Wurzeln im Oxident, entspricht diesem Idealbild, auch Elena Guseva nicht. Doch ihr gelingt es mit dem ersten Blick auf Pinkerton, der ersten scheuen Beugung des Kopfes zu zeigen, dass sie eine absolut entzückende Madama Butterfly ist. Mit kleinen, wie intensiven Gesten und großer Stimme bringt sie uns Cio-Cio-Sans große Sehnsucht nach Liebe und ihre Verzweiflung nahe. Dabei bleibt sie aber auch immer das junge, verletzliche Mädchen von „genau 15 Jahren“, das alle umhegen, beschützen, aber auch besitzen möchten.
Ihr Sopran bietet eine schillernde Palette an Klangfarben und Tönen, die faszinieren, und ihre szenische Darstellung vervollkommnen. Im zweiten Akt gibt es kaum einen Moment, in dem sie nicht mit Gesang und Spiel die Zerrissenheit der jungen Geisha zum Ausdruck bringen muss. Sie tut dies mit Selbstverständlichkeit, Überzeugungskraft und einer Stimme, die in jeder Tonlage Gefühle hör- und sichtbar macht. Ein lautes „Brava!“ für die wunderbare Bewältigung dieser für den Zuschauer so schönen „Tour de Force“.
Stefano La Colla hat einen kraftvoll strahlenden Tenor, dem er all die Töne, die das Publikum an dieser Stimmlage so liebt, mit Leichtigkeit entlocken kann. Es fehlt ihm auch nicht an Schmelz in der Stimme, sodass es nur wenig ins Gewicht fällt, dass es ihm manchmal schwer fällt sein Stimmvolumen zu reduzieren, zumal es ihm gelingt die Entwicklung Pinkertons vom schneidigen, doch gedankenlosen Marineoffizier zu einem verlebten, seiner Schuld bewussten, Mann glaubhaft darzustellen.
Bariton Alexey Bogdanchikov erwähne ich oft als jemanden, der sich erst nach einer kurzen „Anlaufzeit“ freispielt. Doch als amerikanischer Konsul Sharpless ist er mit dem ersten Schritt aus den Tiefen der Helixtreppe auf die Bühne stimmlich wie darstellerisch präsent. Butterfly gegenüber ist er fast väterlich zärtlich, während er Pinkerton immer wieder umsichtig doch nachdrücklich warnt nicht mit ihr zu spielen Seine Stimme scheint weiter an Fülle zu gewinnen, was seine Stimmführung sicherer werden lässt und ihn selbst im Umgang mit seinem Instrument mutiger werden lässt.

Nadezhda Karyazina überzeugt auf ganzer Linie als Dienerin Suzuki ein Mal mehr mit ihrem Timbre, das ihrer Stimme diesen besonderen, warmen Klang verleiht. Immer wieder fällt auch ihr Stimmvolumen auf und ihre darstellerische Ausdruckskraft.
Das Duett Suzuki/Butterfly versprühte melodische Zartheit und Harmonie. Eine kleine, kurz anklingende Unstimmigkeit sorgte dabei noch für das gewisse, gefühlvolle Etwas. Karyazina ist eine wandlungsfähige Künstlerin, die in die Rolle der ergebenen Dienerin genauso leicht schlüpft, wie in die der quirligen Mrs. Quickly (Falstaff, Verdi) oder die der verführerischen Carmen (Bizet).
Peter Galliard als indigniert würdevoll um Butterflys Gunst werbender Yamadori, Jürgen Sacher als listiger Heiratsvermittler Goro, Kady Evanyshyn als Marylin-Monroe-blonde Kate Pinkerton und all die anderen, einschließlich des Chors der Hamburgischen Staatsoper, auch sie trugen zum Erfolg des Abends bei, rundeten ihn mit ihren guten Leistungen ab.
Das Philharmonische Staatsorchester Hamburg unter Leitung von Daniele Callegari brachte Puccinis Melodien gefühlvoll dramatisch und ohne zuviel „Zuckerguss“ zum Klingen.
Mögen die noch folgenden beiden Vorstellungen (19. u. 22.2.) ebenso begeistern und umjubelt werden wie diese!
Birgit Kleinfeld, Vorstellungsbesuch 15. 02.2020