Drei Mal noch ist Richard Wagners romantische Oper um den geheimnisvollen Ritter Lohengrin und Elsa von Brabant in den nächsten zwei Wochen auf der Bühne der Staatsoper Hamburg zu sehen. Die Titelrolle interpretiert Klaus Florian Vogt, dem anschließend an die Wiederaufnahme am 22.12., der Titel „Kammersänger“ verliehen wurde.
Wie erschienen, so entschwunden
Die Uraufführung des Werkes fand am 28. August 1850 in Weimar statt, mit niemand geringerem am Pult als Franz Liszt. Erzählt wird darin die Geschichte von Elsa von Brabant, die von ihrem Vormund Telramund und dessen Gattin Ortrud des Brudermordes angeklagt wird. Lohengrin, durch Elsa im Gebet herbeigerufen, besiegt Telramund und wird so zum „Schützer von Brabant“ und Elsas Gatten. Doch so, betont der Geheimnisvolle, den ein Schwan herführte, sollte sie ihn je nach seinem Namen oder seiner Herkunft fragen, müsse er jenen unbekannten Ursprungsort seiner Fahrt zurückkehren. Durch Ortrud verunsichert bricht Elsa ihren heiligen Schwur und stellt noch in der Hochzeitsnacht die verbotene Frage. So erscheint also der Schwan erneut und nimmt Lohengrin nach dessen „Gralserzähung“ „Aus fernem Land …“ mit sich, lässt jedoch Elsas Bruder Gottfried, der nur als tot galt, doch noch lebt, zurück.

Vom (Fremd)schämen und Gebannt sein
Vor nun fast 21 Jahren, am 18.01.1998 hatte Peter Konwitschnys eigenwillige Interpretation des Stoffes, hier an der Staatsoper Hamburg Premiere.
Konwitschny gehört zu jenen Regisseuren, die ihr Publikum polarisiert oder auch mit gemischten Gefühlen in den Abend entlassen. Mir zumindest geht es oft so, dass ich mich in einigen Szene dies frage: Sind seine Inszenierungen die Arbeiten eines herablassenden Künstlers, der sein Publikum nicht ernst nimmt, oder einfach die provozierende Art und Weise, eines Genies, das uns beschämt, da wir uns und die Gesellschaft in der wir leben nur allzu gut wieder erkennen. Ich glaube, irgendwie ist es beides …
Konwitschny, sein Kostüm- und Bühnenbildner Helmut Brade und dessen Mitarbeiterin bei den Kostümen, Inga von Bredow schicken uns zurück in die Schule. Wenn sich der Zwischenvorhang aus rein weißer Gaze hebt, blicken wir in ein Klassenzimmer, bestückt mit Pulten, wie sie in den 1930ern üblich waren.

Alle, abgesehen von Lohengrin, sind wie Heranwachsende gekleidet, samt Zöpfchen bei den „Mädchen“ und Gymnasiastenkappen bei den „Jungen“. Und sie benehmen sich auch dementsprechend. Werfen Papierkügelchen, schwingen Holzschwerter, ziehen Grimassen, kichern während des „Treulich geführt …“ schamhaft-schelmisch vor sich hin. Doch grenzt dies auch an Lächerlichkeit, so ist Konwitschny doch nicht abzusprechen, dass er weiß, wie er Wirkung erzielt und wie man jedem Menschen auf der Bühne eine kleine, aber unverkennbare Persönlichkeit gibt.
Daneben ist der Einfallsreichtum des Regie-Teams zu bewundern, wie er diesen einzigen Raum, durch kleinste Veränderungen in die verschiedensten Schauplätze verwandelt. So besteht das Brautlager aus mit Laken bedeckten Turnmatten und auch ein Schaubild, das den Unterschied zwischen Mann und Frau zeigt, fehlt nicht.Dies sind Dinge, die manchen zum Lachen reizten, mich aber überlegen ließen, ob ich sie wirklich angebracht und zur Musik umgesetzt finde, oder einfach nur dümmlich und überflüssig.
Unangenehm berührend ist es, wie der Regisseur seine Aussage aus dem Programmheft umsetzt, Lohengrin verkörpere die Sehnsucht nach dem „Ganz Anderen“, die sich jedoch nie erfüllt. Das Volk vergöttert den unbekannten Ritter, der als Einziger erwachsen in Hemd und Stoffhose gekleidet ist, kniet vor ihm, streckt ihm die Hände entgegen, streitet sich um seinen Trenchcoat, wie um eine Reliquie.

Faszination, die Ungereimtes vergessen lässt
Wirklich faszinierend und darstellerisch, wie musikalisch an einen Thriller erinnernd, wurde der Anfang des zweiten Aufzuges, vor allem dank Wolfgang Kochs Telramund und Tanja Ariane Baumgartners Ortrud. Ein weiteres Highlight der Inszenierung war auch der Moment zwischen Brautnacht und Verkündigung: Allein und reglos steht Lohengrin (Klaus Florian Vogt) vor dem Gazevorhang. Alles an ihm „schreit“ geradezu vor Verzweiflung und Zerrissenheit. Ein Eindruck, der noch dadurch verstärkt wird, dass Konwitschny die Trompeter des Königs nicht auf der Bühne, sondern in den Logen des ersten Rangs platziert.
Der Klang ihrer Instrumente, gekonnt fehlerlos gespielt, schenkt ein Hörerlebnis, das tiefer geht, als es die herrvoragende Leistung des Philharmonischen Staatsorchester Hamburg unter der Leitung von Kent Nagano aus dem eine gewisse Distanz schaffenden
Orchestergraben, allein könnte. Dieser kleine „Dolby-Sorund-Moment“ ist das Sahnetüpfelchen, das den Genuss erst perfekt macht. Nagano und seine Philharmoniker, machten die Sehnsucht nach Übermenschlichem, nach Reinheit und schützender Führung mit allen Sinnen spürbar durch Akkuratesse und viele pointierte Akzente, die den Leitmotiven, immer wieder geringfügige Bedeutungen gaben.
Auch der Chor der Hamburgischen Staatsoper, die Edeldamen: Angelka Gajtanovska, Lisa Jackson, Carolin Löffler und Daniela Kappel und die Solisten der Brabantischen Edlen: Sungho Kim, Hiroshi Amako, Nicholas Mogg und Hubert Kowalczy, überzeugten.
Christof Fischessers König Heinrich erinnert in dieser Produktion eher an einen Klassensprecher, als an einen kriegerischen, aber gestrengen Herrscher. Fischesser füllt seine Partie sicher mit sehr jugendlich hellem Bass aus.

Erwartungsziel? Zur vollsten Zufriedenheit erreicht!
Andrzej Dobber, nun nicht länger Gast hier im Hause, sondern festes Ensemblemitglied, als Heerrufer, gelingt es, die kurzen Hosen mit Würde und ein wenig Selbstironie zu tragen und dabei seinen Bariton so edel und warm wie gewohnt zum Klingen zu bringen.
Wolfgang Kochs Friedrich von Telramund hingegen, schäumt vor Inbrunst und leidenschaftlichem Hass. Jede noch so kleine Emotion überträgt er auf seine stimmliche, wie spielerische Darstellung, scheut sich nicht Gesungenem Nachdruck zu geben, indem er hier und da der Kraft der Emotionen, der Perfektion einiger Töne vorzieht. Eine Gesamtleistung, vor der man Hut ziehen muss.
Ähnliches gilt auch Tanja Ariane Baumgartner, einer wirklich wunderbar dämonisch zickigen Ortrud. Ihr Mezzo ist von ungeheurer Kraft und eben solchem Stimmumfang. Beides setzt sie mit Geschick und Sicherheit ein. Ihr “Entweihte Götter“, bei welchem sie sich das Schulkleid aufreißt, um hilflos im Hemd vor Elsa zu stehen, geht unter die Haut, wie eine unheimliche Sequenz in einem Krimi.
Der in dieser Inszenierung kaum verhüllten, aber auch nicht zur Schau gestellten Anspielung auf eine Zeit der deutschen Geschichte, die wir gerne vergessen würden, entsprechend, gibt Simone Schneider, das typische deutsche Mädchen. Bis zu Naivität rein und unschuldig, ihrem Retter, noch bevor er real vor ihr steht, ergeben. Ihr Sopran klingt noch weicher, weiblicher und sauberer geführt, als bei ihrer beeindruckenden Leonore (Beethoven, Fidelio) am Anfang diesen Jahres.
Klaus Florian Vogt, der vor kurzem noch als Paul in Korngolds Die tote Stadt zu sehen war, IST Lohengrin. Stimmlich ist er nicht so heldisch, wie es einst Hofmann, Jerusalem und Kollo waren, sondern sehr weich und lyrisch. Er ist Herr der zarten Töne, denen es dennoch nicht an Kraft fehlt. Darstellerisch ist er von dem Moment an, wenn er aus der Unterbühne erscheint, ein Wesen aus einer Welt, nach der wir uns sehnen, und von der wir wissen, dass sie uns verwehrt bleiben wird.
Erst Jubel, dann Ehrung, dann Standing Ovation
Der tosende Beifall galt allen an diesem Abend Beteiligten. Die Stimmung im Saal war begeisterter als weihnachtlich besinnlich und erreichte ihren Höhepunkt, als Hausherr Georges Delnon die Bühne betrat, kurz aber herzlich einige Worte zu Vogts „Fachwechsel“ 1997 vom Hornisten der Philharmoniker zum Tenor, sagte. Eine Karriere, die mit der Arie des Tamino aus Mozarts Die Zauberflöte begann und bisher in seiner allerorten gefragten, „Paraderolle“ Lohengrin und der verdienten Auszeichnung als Kammersänger der Staatsoper Hamburg, gipfelte
Delnon überreichte Blumen, Senatsdirektor Hans Heinrich Bethge, die Urkunde. Auch er hatte viele lobende Worte, die Vogt bescheiden und ohne jegliche Attitüde entgegennahm. Wie sympathisch seine Reaktion auch auf die spontan herzlichen Standing Ovation des Publikums. Schnell schon winkte er all seine Kollegen zu sich nach vorne, um sie daran teilhaben zu lassen. Die anderen ließen sich lange bitten, was diesem Abend einen Herz wärmend Touch und Abschluss gab.
Danke an alle und weiterhin schöne Weihnachten und einen guten Rutsch.
Birgit Kleinfeld, Vorstellungsbesuch: 22.12.2019