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Nomen ist nicht immer Omen, oft reicht er nicht allein, da hinter kann noch viel mehr „wohnen“! Kommt! Schaut doch einfach rein!

„La Cenerentola“ – Virtuose Leichtigkeit zum Abheben

Weihnachtszeit. Märchenzeit! Am Sonntag hatte Gioachino Rossinis Oper La Cenerentola, seine Version des Grimm’schen Märchens „Aschenputtel“, in der Inszenierung von Renaud Doucet und André Barbe, ihre Wiederaufnahme. Die Titelrolle sang die italienische Mezzosopranistin Annalisa Stroppa, den Don Ramiro der diesjährige „Operalia-Sieger“ Xabier Anduaga. Sie, alle anderen Beteiligten, wie die gesamte Produktion wurden umjubelt und mit Standing Ovation gefeiert.

Traumwelt Märchen

Bei Rossini und seinem Librettisten Jacopo Ferretti gibt es zwar ebenfalls die beiden zickigen Stiefschwestern, nämlich Tisbe und Clorinda. Doch aus der bösen Stiefmutter wurde der gierige, unsympathische Stiefvater Don Magnifico. Auch bekommt Angelina, wie, die so schlecht Behandelte hier heißt, statt von einer Fee, Hilfe von ihrem verschollen geglaubten Vater Alidoro, und eine Bestrafung der Stieffamilie entfällt. Heißt die Oper doch im Untertitel „Der Triumph des Guten“.

Foto: Klaus Lefebvre / Ensemble


Ansonsten hat die Oper alles, was ein Märchen braucht, oder auch ein „Dramma giocoso“, wie wir es von Rossini kennen und lieben: Es gibt vor dem Happy End Verwirrungen durch Verklei-dungsspielchen, da Ramiro in die Rolle seines Dieners Dandini schlüpft, während seiner Brautschau. Und Dandini natürlich folgerichtig als vermeintlicher Prinz agiert. Natürlich fehlen weder die Gewittermusik noch die große Szene für den Tenor, die, über und über geschmückt mit Spitzentönen für wahres Entzücken beim Publikum sorgt
Auch hier wohnt der Musik, der spezielle Rossini’sche Zauber inne, der aus dieser ganz besonderen Mischung aus Virtuosität besteht, deren Komplexität sich darin zeigt, dass sie einfach und leicht wirkt. Sie hatte eine klangliche Leichtigkeit, die ansteckt. Das Hamburger Schmuddelwetter, der Stress der zwar wunderbar nach Glühwein, Zimt und Mandeln duftenden Vorweihnachtszeit, tritt in den Hintergrund, sobald die ersten Töne der Ouvertüre erklingen

Foto: Klaus Lefebvre / Ensemble

Einfach loslassen und „abheben“

Wenn sich dann der Vorhang hebt, taucht ein ganzer Theatersaal ab in die vintage-futuristische Welt der Herren Barbe und Doucet. „Vintage-futuristisch“ darum, weil André Barbes Bühnenbilder und Kostüme den Eindruck erwecken, sie würden einen Blick in die Zukunft bieten, jedoch mit der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts als Ausgangspunkt. Mich, zum Beispiel erinnern besonders die Kostüme Alidoros, Dandinis und Ramiros, wie auch die Rakete, mit der das Liebespaar zu Wolke startet, an Bilder aus Hergés Tim-und-Struppi Büchern Reiseziel/Schritte auf dem Mond. Aber es gibt auch viele andere Elemente , die auf Weltraum, Zukunft und andere Welten hinweisen. Alidoros Rollschuh fahrende Entourage aus Puppen ähnlichen Wesen, Bildschirme für Frühsport und Nachrichten, bemannte Schreibmaschinen-wagen, übergroße Roboterkameras, die jeden Schritt der Brautschau aufnehmen und vieles mehr.
Barbes Vorstellungskraft scheint grenzenlos und Renaud Doucets Geschick der Personenführung und auch sein Ideenreichtum alten Geschichten ein neues Gewand zu verpassen, stehen dem in nichts nach. Diese Art von Regietheater, farbenfroh, nie den erhobenen Zeigefinger im Anschlag, gleicht einem „Wimmelbild“, auf dem man bei jedem neuen Betrachten eine neue Kleinigkeit entdecken kann. Selbst wenn man sicher ist, schon alles registriert zu haben. Die beiden Künstler bieten unbestreitbar jedem die Möglichkeit, sich ganz nach eigenem Gusto und Willen auf das Angebot aus Musik und Inszenierung einzulassen und diese Symbiose zu genießen. Ein Konzept, das (nicht allein) hier aufgeht.

Foto: Klaus Lefebvre /Ensemble

Positiver Energiefluss zwischen Bühne und Saal

Denn nicht allein das Publikum hatte Spaß, den es immer wieder durch Zwischenapplaus und Lachen zeigte. Auch den Darstellern, inklusive des Chors der Hamburgischen Staatsoper, war die Freude am Spiel im Allgemeinen und dem Umgang mit der eigenen Stimme im Besonderen, anzumerken.
Es war ein Geben und Nehmen, das sich auf die Qualität des Abends auf wunderschöne Weise positiv auf beide Seiten auswirkte und Matteo Beltrami und das Philharmonische Staatsorchester Hamburg trugen aus dem Graben heraus viel dazu bei. Sie spielten voller Esprit und dort, wo es darauf ankam, auch mit Empathie für die Sänger.

Der Hagener Bass Torben Jürgens ist von Erscheinung und Stimme ein recht jugendlicher Alidoro, macht aber neugierig darauf, ihn in anderen Rollen aus seinem Repertoire zu sehen. Wie zum Beispiel den Basilio aus Rossinis Il barbiere di Siviglia oder auch de Leporello aus Mozarts Don Giovanni.
Maurizio Muraro in der Rolle des Don Magnifico, scheint diese Partie wie auf den Leib geschrieben, er füllt sie mit Humor geladenen Kabinettstückchen und vollem Bassbuffo.
Köstlichst auch Ida Aldrian und Jenny Daviet als Magnificos Töchter Tisbe und Clorinda. Jetzt beim Schreiben tauchen wieder Bilder von ihren Zickereien und ihrem Gepose, vor dem inneren Auge auf. Klingen Aldrians Mezzo und Daviets klarer Sopran in den Ohren. Erinnerungen, die schmunzeln lassen.
Das gilt ebenfalls für Kartal Karagediks Dandini. Sonst eher auf ernste Partien abonniert , zeigt er hier seine lustige Seite, genießt die Avancen der Schwestern und auch, dass er kurzfristig Herr sein darf. Er meistert alle gesanglichen Schwierigkeiten, die Rossini auch für einen Bariton bereithält, ohne Probleme.

Xabier Anduaga ist ein junger Tenor, der sicher noch viel von sich reden machen wird. Sein Don Ramiro sprüht vor Charme und klaren, sicheren Spitzentönen. Er, der Operalia-Sieger 2019, war es, der sicherlich mit der größten Spannung erwartet wurde und auf dem der höchste Erwartungsdruck lag. Meine Erwartungen übertraf er. Er weckte sofort den Wunsch, ihn bald und oft hier in Hamburg wiederzusehen und zu hören.

Die Italienerin Annalisa Stroppa verfügt über eine Mezzostimme, die zu Metaphern verführt. Metaphern, die im Kulinarischen liegen, etwas zu tun haben, mit der Wärme von weichem Cognac, der langsam die Kehle herunterrinnt, bitter-süßer Schokolade oder Ähnlichem, das nichts mit Sangeskunst zu tun hat, aber doch die Wirkung ihrer Stimme wunderbar beschreibt. Besser und authentischer, als ich es mit mir bekannten Fachbegriffen könnte. Ihre Darstellung dann ist ebenso facettenreich, wie ihr Gesang. Überzeugend entwickelt sie sich von der melancholischen Träumerin, über die unsicher Verliebte, zu der selbstbewussten, toleranten Gattin ihres Prinzen.

Fazit des Abends: Vorstellung super gelungen! Standing Ovation von allen verdient! Von allen auf und vor der Bühne genossen!

Birgit Kleinfeld, Vorstellung: 08.12.2019



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