Opern- und Leben(s)gestalten

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„La Bohème“ – Verführung durch unsterbliche Musik

„Mimì! Mimì!“ Mit diesen verzweifelten Rufen des männlichen Hauptdarstellers endet Giacomo Puccinis Oper „La Bohème“, entstanden nach dem Stück “Scènes de la vie de bohème“ von Henri Murger.

Bei der Aufführungam 28.11. an der Staatsoper Hamburg gaben nicht nur Andeka Gorrotxategi (Rodolfo) und Angel Blue ( Mimì), die beide wenige Tage zuvor ihr Hausdebüt hier hatten, ihr Bestes, das Publikum ihre Geschichte und die ihre Freunde mitzuempfinden. Und das mit großem Erfolg.

Foto: Hans-Jörg Michel /Ensemble

Von „Bonbonregen“ und vom „Zwiebelschälen“

Überhaupt ist „La Bohème“ eine der Opern, die von keinem Spielplan lange wegzudenken sind, ein Phänomen. Immer wieder wird in Rezensionen über dieses Werk Erich Kästners Vergleich: „ …da klingt die Musik, als würde es Bonbons regnen!“, erwähnt. Auf der Suche nach einer eigenen Metapher kam mir der Gedanke, dass man sich dem berührenden Sog der Musik ebenso wenig entziehen kann, wie den Tränen beim Zwiebelschälen. Gut, Kästner war in seiner Wortwahl sicherlich geschickter und doch meinen wir beide dasselbe. Puccini verstand es meisterlich, uns durch seine Melodien in den Bann zu ziehen, mitten hinein in das Leben seiner Held/innen. Jeder Ton, jeder Akkord gleicht einem Wort oder auch einem Pinselstrich, mit dem Puccini uns in die Welt von Mimì, Rodolfo und den anderen entführt, und wir können und wollen dem gar nicht entfliehen.

Das liegt sicher aber auch an der Geschichte, die wie aus dem Leben gegriffenscheint: Es geht um die enge Freundschaft von dem Dichter Rodolfo, dem Maler Marcello, dem Musiker Schaunard und dem Philosophen Colline. Und natürlich um die Liebe. Die Liebe zwischen ihm und seiner leichtlebigen Musetta ist eine amour fou, eine on/off Beziehung, aber dennoch aufrichtig und auf ihre Art tief. Rodolfos und Mimìs Beziehung ist die berühmte Liebe auf den ersten Blick, die entsteht, als Mimì am Weihnachtsabend bei den Nachbarn klopft, und Rodolfo öffnet. Sie ist von ernsterer Dramatik geprägt, bedingt durch Rodolfos Eifersucht, wie auch um seine Sorge wegen der Krankheit der Geliebten. Auch die beiden trennen sich, doch zum Sterben kehrt sie zudem Geliebten und den Freunden zurück.

Foto: Hans-Jörg Michel /Mariam Battistelli , Esemble

Fröhliches, schreckliches Leben“

Diese Thematik bietet Regisseuren viele Möglichkeiten zur Interpretation: von traditionell romantisch bis gesellschaftskritisch. Im Jahr 2006 entschlossen sich Guy Joosten (Regie), Bühnenbildner Johannes Leiacker und Jorge Jara (Kostüme) für eine Version, die frei von Verniedlichung und Romantisierung ist, aber auch auf den, oft so gern benutzten, erhobenen Zeigefinger verzichtet.
Im ersten wie im vierten Bild haben wir Einblick in das Wohnhaus der Freunde und ihr „fröhliches, schweres Leben“, wie zuvor die Schrift auf dem schwarzen Vorhang vermeldet.Sind im ersten Akt noch alle Wohnungen bewohnt, so leben im vierten nur noch die Freunde dort. Alles zeugt von Aufbruch, Abriss, Abschied.
Auch das zweite und dritte Bild zeigen „zwei Seiten einer Medaille“: Zuerst befinden wir uns in feiernd im „Momus“, dann am Hintereingang einer Bar und sehen Straßenfeger und Liebesdamen beiderlei Geschlechts, die Pause machen.
Doch stets wird den Zuschauern die Möglichkeit gegeben, mitzuempfinden, sich hineinfallen zu lassen in die Geschichte und natürlich, immer wieder die Musik.

Foto: Hans-Jörg Michel/ Angel Blue, Kartal Karagedik , Andeka Gorrotxategi

„Keine Musik, kein Lärm, keine Bohème“

Letzteres wurde etwas erschwert durch das an einigen Stellen recht lieblos in Tempi und Lautstärke wirkende Dirigat von Carlo Montanaro. Ein Mangel, der sich notgedrungen auch auf die Leistung des Philharmonischen Staatsorchester Hamburg auswirkte. Dennoch, nein,die Überschrift bezieht nicht auf Orchester und Dirigent, sondern auf die Aufschrift des Vorhangs vor dem dritten Bild.
Schöne Musik und der „Lärm“ des Lebens, wie Lieben – Lachen – Streiten – Lieben, sind es, die das Leben der Figuren ausmachen. Greifbar und authentisch wurden sie alle dargestellt, und so gebührt auch jenen, die hier unerwähnt bleiben, Anerkennung und Lob.
Diese beiden komplettieren das Künstlerquartett: Shin Yeo, der, in der erste Vorstellung sein Rollendebüt gab, als Schaunard und Tigran Martirossian als Colline. Wo Yeo fröhlich und lebensbejahend ist, ist Martirossian der Ruhepool der Clique. Der eine überzeugt, wenn er gekaufte Köstlichkeiten wie selbstverständlich mit den Freunden teilt, der andere berührt wenn er sich, nur um Mimì zu helfen, von seinem alten, lieb gewonnenen Mantel trennt.

Foto : Hans-Jörg Michel/ Gorrotxategi , Blue, Karagedik , Martirossian , Battistelli

Doch natürlich stehen sie und ihre Herzdamen im Mittelpunkt von Handlung und Aufmerksamkeit: Kartal Karagedik als Maler Marcello und Andeka Gorrotxategi in der Partie des Poeten Rodolfo. Karagedik zeigt einmal mehr, dass er ein Vollblut-Sängerdarsteller ist. Kämpft gegen die Eifersucht an, wenn seine Musetta flirtet und kokettiert und zeigt dann in den Szenen und Duetten mit Rodolfo und auch Mimì stimmschön Sehnsucht Sorge und Mitgefühl.
Sie ist sein passendes Gegenstück Mariam Bartistelli, als quirlig herausfordernd sexy und doch großherzige Musetta. Sie verführt auch das Publikum mit ihrem hinreißend sicher in Höhe und Ausdruckdargebotenen „Quando m’en vo…“ Und ihrem an Mimìs Sterbebett fast hingehauchtem „Son io Musetta …“.

Sieht man Musettta und Marcello als, wenn auch tragisch-heiteres Buffopaar, so sind Rodolfo und Mimì das klassisch romantische Liebespaar, dem jedoch das Happyend versagt bleibt. Andeka Gorrotxategi besticht von Anfang an mit jungenhaften Charme und dem tenoralen Schmelz seiner Stimme und scheint ein „ganzheitlich“, also durch Ausstrahlung, Spiel und Gesang ideal für Partien wie diese.
Die junge Amerikanerin Angel Blue gilt mit Recht als neuer bereits hell am Opernhimmel Star. Ihre Mimì ist so stark wie auch zerbrechlich, eine Frau, die dafür nicht mehr einsam mit ihren Stofftieren kuscheln zu müssen, gegen die Krankheit ankämpft. Ihr Sopran unterstützt diesen Eindruck, da sie ihn sicher modelliert und Puccinis Tönen so, das Liebe einhaucht, dass ihnen zusteht. Ihre Höhen klingen Glockenhell. Mittellage und Tiefe einschmeichelnd samten weich.

Wieder war es ein gelungener Abend, bei dem alle umjubelt wurden und sicher nahm mehr als einer das klagende „Mimi, Mimi“ und andere süße Klänge, wie einen noch langsam zergehenden Bonbon mit hinaus in den Abend.
Kästners Vergleich, ich kann es neidlos zugeben, passt doch so viel besser zu diesem Abend, diesem Werk, als der meine!
Birgit Kleinfeld, Vorstellungsbesuch 28.11.

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