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„Die tote Stadt“ – Anspruch, der in den Bann zieht

Am Freitag fand die erste von drei Vorstellungen von Erich Wolfgang Korngolds Oper „Die tote Stadt“ an der Staatsoper Hamburg statt. Hauptprotagonist war Klaus Florian Vogt, der seine erste Karriere hier bei den Philhamonikern als Hornist begann und sich schon lange einen Namen als Tenor gemacht hat. An seiner Seite gaben Gun-Brit Barkmin als Marie/Marietta und Jana Kurucova als Brigitta, ihre Rollendebüts.

Erich Wolfgang Korngold, der sich selber als „Vertreter der modernen Klassik“ bezeichnete, gelang im Alter von 23 Jahren mit seiner Oper „Die tote Stadt“, der Durchbruch. Uraufführung hatte das großorchestrige, durchkomponierte Werk zeitgleich in Hamburg und Köln am 4. November 1920.
Das Werk erzählt die Geschichte von Paul, der gefangen ist zwischen Realität und fast wahnhafter Trauer um seine Frau Marie. Er trifft auf die Tänzerin Marietta, die Marie sehr ähnelt. Es entspinnt sich eine komplizierte Liebesgeschichte, die damit endet, dass Paul Marietta t(ötet. Doch dann entpuppt sich alles als Traum und Paul verspricht seinem Freund Frank, zu versuchen, Brügge, die für ihn tote Stadt und „Kirche des Gewesenen“ zu verlassen.

Foto: Bernd Uhlig/ Ensemble, Vogt


Für die Hamburger Inszenierung von Korngolds Oper zeichnen Regisseurin Karoline Gruber, Bühnenbildner Roy Spahn und Kostümbildnerin Mechthild Seipel verantwortlich. Ihre Produktion überlässt es weitgehend den Zuschauern zu entscheiden, wo der Wahntraum endet und die Realität beginnt. Karolin Gruber selbst nennt es „ein gefährliches Spiel“. Und das ist es. Ein Spiel, mit aus Trauer geborenen, Sehnsüchten und Illusionen. Der Bilderrahmen enthält kein Bild von der toten Marie und doch scheinen alle sie zu sehen. Ist es allein Marietta, die vergnügte Hure, die unantastbare Maria ersetzt? Schlüpft nicht vielleicht auch Brigitta aus Liebe in die Rolle ihrer toten Herrin? Und Marietta in die Brigittas? Auf jeden Fall trägt eine auch einmal das Kostüm der anderen.
Dann Frank: Er ist Freund und gleichzeitig Rivale und gehört als Fritz auch zu den Komödianten, die unter anderem ein Schattenspiel um „Robert Le Diable“ aufführen. Nicht zuletzt aber, ist Frank auch der Todesengel.Was eine weitere Frage aufwirft: Verlässt Paul Brügge mit dem Freund oder mit dem Tod?
Alles in allem ist Karoline Gruber und ihrem Team jedoch ein „Spiel“ gelungen, das mehr fasziniert und nachhaltig in seinen Bann zieht, als zu verwirren.
Das Bühnenbild von Roy Spahn ist meist minimalistisch, ohne karg zu sein. Mechthild Seipels Kostüme sind zeitlos, passen zu den Charakteren. Wie zum Beispiel, das klare Rot und Blau für Marietta oder die goldenen und grotesken weißen Masken zu den, an Bronzestatuen erinnernden Kostümen für die Bürger Brügges.

Foto: Bern Uhlig/ Ensemble

Vieles scheint ein Sichtbarmachen der Klänge aus dem Graben zu sein, Rhythmus oder Melodie spiegeln sich hier und da in den Bewegungen wider. Die Musik selbst ist, was lax als schwere Kost“ bezeichnet werden kann. Doch eine, die dennoch zum Genießen verführt, mag man sich einlassen auf Unkonventionelleres, als Arien und schöne Melodien, die uns berühren, oder mitreißen.
„Glück das mir verblieb“ ist die einzige durchgängige, bekannte Melodie aus diesem Werk. Doch, Korngolds Komposition hat dennoch etwas fast geheimnisvoll Mystisches. Als gäbe es „Klänge zwischen den Takten“. Wie es auch beim gesungenen Text, Bedeutungen gibt, die ehr zwischen den Worten und Zeilen stehen. Andererseits bereitet die Musik auch auf die Gefühle und Emotionen der Figuren vor, untermalt sie, oder fungiert als eine Art Nachhall von Leidenschaft, Wahntraum, Zärtlichkeit und Ähnlichem.
Die Geschichte selbst quillt gerade zu über vor Gefühlen und verlangt so, besonders von denen der Darsteller des Pauls und der Marietta. So wird Klaus Florian Vogt und Gun-Brit Barkmin von der ersten bis zur letzten Minute nicht nur gesanglich, viel abverlangt.
Für Vogt, der den Paul bereits in der Premierenserie 2015 und auch im vergangenen Jahr hier sang, ist es eine wahre Paraderolle und verdient uneingeschränkten Respekt und höchste Anerkennung. Unabhängig davon wie man zu seiner Stimmfarbe, seinem Timbre steht. Mit kraftvoller, sicher geführter Stimme, stets Pauls Gefühlen nicht nur darstellerisch Ausdruck verleihend, sondern auch seinen Gesang, meistert er diese “Mammutpartie“ scheinbar mühelos. Wirklich beeindruckend wie er zwischen Wahn und Realität, Verzückung, Anbetung, Ekel und Wut zu balancieren weiß.
Gun-Brit Barkmin faszinierte vom ersten Moment an, durch eine große Palette an mimischen, wie gestischen Möglichkeiten in ihrem Spiel, wodurch sie die Marietta buchstäblich zum Leben erweckte. Ihr Sopran hat einen metallischen, in den Höhen manchmal leicht schrillen Klang. Allerdings, soll dies keinesfalls ein Bemängeln ihrer Fähigkeiten sein. Es ist eher eine Frage des persönlichen Hörempfindens. Der überschwängliche, überreizt wirkende Ausdruck, der manchmal in den Höhen entsteht, passt perfekt zu der exaltierten Figur Marietta, gibt ihr sogar das gewisse positive Etwas. Brava!

Foto: Privat / Fritz & Gaukler

Alexey Bogdanchikov überzeugte wieder einmal in der vielschichtigen Rolle des Frank/Fritz/Todesengel.
Eher ein Mann der zurückhaltenden Gesten gibt er Frank etwas Geheimnisvolles. Dass es oft die kleinen Dinge sind, die eine Wirkung erzielen, zeigt er unter anderem mit dem Tonfall seines allerletzten Satzes, in welchem er Paul auffordert, ihn aus Brügge hinaus zu begleiten. Trotz Todesengel-Kostüm, gelingt es Bogdanchikov, es dem Publikum zu überlassen, ob der Tod lockt oder doch „nur“ der Freund sich sorgt. Auch stimmlich bringt er alle Fazetten der Partie mit seiner warmen Baritonstimme zum klingen.
Jana Kurucova berührte tief als Pauls Dienerin Brigitta. Ihr warmer volltönender Mezzo, schmeichelt dem Ohr und ihr Spiel, die innere Zerrissenheit, die auch dieser Partie innewohnt, zeigt sie auf authentisch ehrliche Weise.
Na’ama Shulman (Juliette), Gabriele Rossmanith (Lucienne), Sungho Kim (Victorin) und Dongwon Kang (Graf Albert) Apostolos Dulakis (Gaston, stumme Rolle) als Gauklerquintett amüsieren und überzeugen auf ganzer Linie.
Gleiches gilt für den Chor der Hamburgischen Staatsoper und vor alle auch den Kinderchor, die Alsterspatzen, die hier schauspielerisch auf eher puppenhafte, als kindliche Art, gefragt waren.
Der musikalische Leiter Christoph Gedschold holte wirklich alles aus dem Philharmonischen Staatsorchester Hamburg heraus. Führte mal einfühlsam, mal den wuchtigen Klang bis an den Anschlag ausnutzend durch die anspruchsvolle Partie.
Das Publikum dankte allen Beteiligten die eindrucksvolle Leistung mit anhaltend begeistertem Applaus und zeigte so, dass es auch Ungewohntes zu schätzen weiß.

Birgit Kleinfeld, Vorstellung, 6. 12. 2019

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